Das Gift der Verantwortungslosigkeit hat uns durchdrungen, aber es gibt noch eine Chance
Warum sprechen viele Entscheidungsträger so gerne über Verantwortung? Es sieht oft so aus, als ob sie damit nur davon ablenken wollen, wie verantwortungslos sie handeln. Und es scheint, dass ihnen das immer mehr Menschen im Alltag nachmachen.
Globale Verantwortungslosigkeit: Wenn sogenannte Weltmächte nur dann militärisch eingreifen, wenn sie dabei nur eigene Interessen wahren. Wenn Bankmanager riesige Schulden oder faule Kredite anhäufen in der Gewissheit, dass sie nach dem geschickt eingefädelten „Too Big To Fail-Kriterium“ von Staat und Steuerzahler gerettet werden müssen. Wenn Fondsmanager mit Hochgeschwindigkeitshandel den Rahm bei allen Börsengewinnen abschöpfen. Wenn Großkonzerne ihre Umwelt zerstörenden fossilen, atomaren oder gentechnisch veränderten Produkte so stark forcieren, dass sich die klimafreundlichen und zukunftsträchtigen erneuerbare Energie- und Bioprodukte nicht oder zu langsam durchsetzen können. Wenn sich ein undurchsichtiges und undemokratisch eingefädeltes USA-EU-Freihandelsabkommen durchsetzen würde, welches die Errungenschaften unserer Gesellschaft und Wirtschaft, auch unseres Umweltschutzes irreparabel zu beschädigen droht.
Parksünder-Bestrafung statt Schutz vor Kriminalität?
Staatliche Verantwortungslosigkeit: Wenn aus Gründen des Parteieinflusses und persönlicher Karrieren wegen seit Jahren an der Macht befindliche Regierungen notwendige Reformen z.B. im Bildungs-, Forschungs-, Steuer- und Verwaltungsbereich einfach nicht umsetzen. Wenn anders als in Südkorea, wo kürzlich der Ministerpräsident wegen der schweren Fehler seiner Verwaltung im Zusammenhang mit dem Fährunglück ehrenhaft zurückgetreten ist, bei den Skandalen und Katastrophen im Umfeld der Verantwortung unserer Regierung nur die Köpfe von Nebendarstellern rollen. Wenn der Schutz der Bevölkerung vor Kriminalität gegenüber dem überproportionalen Bestrafen von Verwaltungsübertretungen wie z.B. „Parksünden“ vernachlässigt wird.
Verantwortungslosigkeit im Berufsleben: Wenn man mit seinem Unternehmen offenen Auges in Insolvenz geht, dabei seine Gläubiger und Mitarbeiter schädigt und heimlich seine Schäfchen ins Trockene gebracht hat. Wenn Ärzte den Patienten vor Operationen lange, komplizierte Einverständniserklärungen unterschreiben lassen, damit sie nachher nicht verklagt werden können. Wenn man eine schlecht arbeitende Schneeräumungsfirma engagiert, nur um Haftpflicht-versichert zu sein.
Verantwortungslosigkeit im Privatleben: Wenn man nur dann zum „Sackerl für das Gackerl“ seines Hundes greift, wenn man sich beobachtet fühlt. Wenn man in seinem Ofen Dinge verbrennt, die giftige Emissionen verursachen und kaum geahndet werden können. Wenn man als Dieb oder Gewalttäter gezielt darauf hofft, dass man bei Gericht als Mensch mit Zwangsstörung oder psychischer Krankheit eingeschätzt wird, der „einfach nicht anders kann“ und daher nicht ins Gefängnis muss. Wenn man „Arbeitslose“ oder Mindestsicherung bezieht und „Pfuschen geht“. Wenn man frisst, säuft, sich nicht bewegt, um dann „total bedient“ in Frühpension zu gehen. Wenn man – wie kürzlich in der Mariahilferstraße – bei seinem Selbstmord Unschuldige mit in den Tod reißt.
Die schreckliche Stimmung des „nichts dafür Könnens“
So viele Täter und so viele Opfer. Eine Ursache dafür ist das nicht vorbildliche Verhalten von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen: „Wie der Herr, so‘s Gscherr“ hat es einmal geheißen oder „Der Fisch fängt am Kopf zu stinken an“. Eine andere ist die tief in uns sitzende Überzeugung, dass „die anderen schuld sind“. Schon der offenbar unsterbliche „Herr Karl“ hat gewusst: „Karl, Du bist es net“. Wir alle reden uns zu gerne aus auf die Eltern, die Lehrer, die Vorgesetzen und natürlich die Politiker. Es besteht heute eine schreckliche Stimmung des „nichts dafür Könnens“ und daher auch des „lieber gar nichts mehr Anpackens“, es besteht in Haushalten, Unternehmen, Regierungen. So wird Weisheit durch Schläue, Einsatzkraft durch Gewalt und Allgemeinnutzen durch Egoismus ersetzt. Eine dritte Ursache ist die fatalistische, politisch-medial gehypte Hilflosigkeit mit Aussagen wie „Armut kann jedem passieren“, „Why me?“ (Garfield) und „Shit happens!“, welche andererseits Aussagen des freien Willens und unternehmerischen Muts wie „Jeder ist seines Glückes Schmied“ als asozial desavouiert.
Hat uns also das Gift der Verantwortungslosigkeit bereits rettungslos durchdrungen? Gibt es keinen Ausweg? Doch. Ich bin davon überzeugt, dass das Bedürfnis nach Anstand, Fairness und Leistungsgerechtigkeit, nach Vertrauen in klare Verantwortlichkeiten immer noch über eine klare Mehrheit verfügt. Folgende Maßnahmen möchte ich daher vorschlagen: 1. Die Bevölkerung gehört medial über den allgemeinen Nutzen der Verantwortung aufgeklärt. 2. Verantwortungsbewusstsein soll auch zum Lernstoff in der Schule (im Ethikunterricht?) werden 3. Politische Verantwortung soll wieder als praktizierten Tugend festgeschrieben werden. 4. Mehr Förderung von Mut, Eigeninitiative und Unternehmertum. 5. Keine Toleranz mehr für Verantwortungslosigkeit auf allen Ebenen.
Nehmt die Dinge in die Hand
Diese Maßnahmen können und sollen nur demokratisch angegangen werden: Z.B. in dem man echte Evolutionen in den Regierungsparteien in Gang setzt. Oder neuen Parteien eine Chance gibt. Oder selbst eine neue Partei gründet. Oder auch nur durch Detailwirken in Plattformen, Initiativen und Lobbys. Was wir jedenfalls brauchen ist das Vertrauen, eine fairere Gesellschaft schaffen zu können, die individuell und solidarisch Verantwortung übernimmt, die Werte wie Leistung und Wettbewerb mit Nachhaltigkeit verknüpft und unseren Nachfahren eine bessere Welt hinterlässt. So eine Gesellschaft wird nicht durch Extremisten und Machterhalter, sondern nur aus ihrem Mittelstand heraus entstehen. Einem Mittelstand, der endlich einmal nicht mehr nur dem bösen Treiben zusieht, sondern die Dinge selbst in die Hand nimmt.
Wolfgang Lusak, Lobby-Coach und Managementberater
( eine Kurzfassung diese Kommentars wurde auch im KURIER veröffentlicht )