Wo bleibt die Trauer?

Ich erfahre vom Terroranschlag und schalte die Nachrichten ein.

Die Politiker sprechen in TV und Radio von ihrer tiefen Erschütterung, von ihrem Mitgefühl für die Opfer und ihren Angehörigen, sie sprechen aber auch von der Unerschütterlichkeit der Demokratie, unserer Freiheit und der europäischen Werte, von ihrer Entschlossenheit die Täter und Rädelsführer zur Verantwortung zu ziehen und sie zu bestrafen. Die Politiker vollziehen das übliche politische Ritual.

Die Berichterstatter zeigen oder beschreiben uns Bilder des Terrors, Schreckens und Chaos. Kommentatoren erklären uns mögliche Hintergründe, Ursachen und Konsequenzen. Betroffene und Zeugen berichten in Tränen von unfassbaren Szenen. Die Nachrichtenmedien vollziehen das übliche mediale Ritual.

Ich schalte andere Sender ein und sehe überwiegend Werbung, Filme, Lokalberichte, Gesprächsrunden, Koch- und Küchensendungen. Ich drehe das Radio auf und höre überwiegend Musik, Geplauder, Werbung. Diese Töne geben einem das Gefühl einer irrealen, fast befremdlichen Normalität. Die „normalen“ Medien vollziehen das „the show must go on“-Ritual.

Ich gehe auf die Straße und sehe Menschen, die einkaufen gehen, mit einander plaudern, manche lächeln auch. Autos und öffentliche Verkehrsmittel fahren ganz normal. In Geschäften werden Waren angeboten, in Lokalen werden Getränke serviert. Ganz normal. Die Menschen vollziehen ein „Das Leben geht weiter“-Ritual.

Ich fühle mich ein wenig aufgefangen. Mein gewöhnliches Sicherheitsgefühl kehrt zurück. Aber irgendwie frage ich mich auch: Wieso schweigen jetzt nicht die Medien? Wieso sind wir nicht alle still? Wieso verdrängen wir so reflexartig die bösen Bilder? Wieso sind wir so rasch nicht mehr traurig? Wieso weinen wir nicht alle?

Trauerarbeit bedeutet doch auch verarbeiten und sich besinnen. Wenn wir nicht trauern wollen oder können, dann wird eine dumpfe, unglückliche Ignoranz, eine Kapitulation gegenüber dem Bösen Platz greifen. Wenn wir nicht trauern, dann kann aber auch ein alle Vernunft fortspülender Hass, eine gegen alle gerichtete Wut entstehen. Das wäre dann genau der gleiche Hass und die Wut, die es bei denjenigen gibt, die uns mit Terror angreifen.

P.S.: Ganz sanft möchte ich aber eines schon sagen: Ich kann das Wort “amtsbekannt” über tätige, flüchtige und hochgefährliche Dschihadisten nicht mehr hören: Wer denkt bitte darüber nach, wie wir (mit Gesetz und Exekutive) besser vor diesen geschützt werden können?

Wolfgang Lusak www.lobbydermitte.at  www.lusak.at office@lusak.at Schulgasse 18, 1180 Wien, tel 01/ 315 45 36

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