WIRTSCHAFTSKAMMER-REFORM ODER REFORMERL?

Mitter Schell Jung
Die Aussagen von Vizekanzler Mitterlehner, NEOS-Wirtschaftssprecher Schellhorn und Grüne Wirtschaft-Bundessprecherin Jungwirth zum Thema Wirtschaftskammer-Reform im informativen und amüsanten Vergleich & kurzer Lusak-Kommentar

1. Reinhold Mitterlehner 1.2.17:
Moderne Gewerbeordnung erleichtert das Wirtschaften und beschleunigt Verfahren

Für Unternehmen wird es einfacher und günstiger – Alle Gewerbeanmeldungen werden kostenlos, Nebenrechte erweitert – Schnellere und einfachere Verfahren im Betriebsanlagenrecht
Auf Antrag von Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner hat der Ministerrat am Mittwoch eine umfangreiche Reform der Gewerbeordnung beschlossen. „Die Gewerbeordnung wird praxisnah modernisiert, um das Wirtschaften zu erleichtern und die Qualität des Standorts Österreich zu sichern. Für unsere Betriebe wird es damit einfacher und günstiger. Viele Behördenverfahren werden beschleunigt und vereinfacht“, sagt Mitterlehner. Einen wichtigen Schwerpunkt bildet die Entrümpelung des Betriebsanlagenrechts. „Damit erleichtern wir den unternehmerischen Alltag und beseitigen viele bürokratische Hürden“, bekräftigt Mitterlehner. Alle Gewerbeanmeldungen werden kostenlos bzw. von Gebühren und Abgaben des Bundes befreit. Aufgrund der zuletzt rund 80.000 Anmeldungen im Jahr sparen sich die Unternehmen über zehn Millionen Euro pro Jahr. Die freien Gewerbe werden erweitert, indem die Teilgewerbe-Verordnung aufgehoben wird: 19 von 21 bisher reglementierten Teil-Gewerben werden zu freien Gewerben.
 
Nebenrechte werden deutlich erweitert
Der gewerberechtliche Umfang der Nebenrechte wird deutlich erweitert. Das bisherige Nebenrecht, in wirtschaftlich sinnvoller Ergänzung zur eigenen Leistung auch in geringem Umfang Leistungen aus anderen Gewerben erbringen zu können, hat sich als zu eng erwiesen. Daher wird die Bindung an einen geringen Umfang aufgegeben. Zusätzlich soll ein bestimmter Anteil der gesamten erbrachten Auftragstätigkeit aus ergänzend erbrachten Tätigkeiten bestehen dürfen – insgesamt 30 Prozent, wobei aus reglementierten Tätigkeiten stammende Nebenrechte mit 15 Prozent limitiert sind.
 
Diese Regelung sieht vor, dass die Ausübung der Nebenrechte zeitlich nahe mit dem Hauptauftrag zu erbringen ist. Dementsprechend darf zum Beispiel ein Tischler, der eine Küche baut, auch Fliesen darin verlegen, wenn das vor der Abnahme beauftragt wurde. Ein Spediteur, der den Umzug für einen Kunden durchführt, darf in diesem Rahmen auch anbieten, ausgeschlagene Ecken in den Wänden zu verspachteln. Ein Trockenausbauer, der eine neue Decke legt, darf sie auch ausmalen, Leuchtspots einsetzen und mit der Elektroinstallation verbinden.
 
Reform des Anlagenrechts beschleunigt und vereinfacht Verfahren
Auf Initiative Mitterlehners wird das Betriebsanlagenrecht modernisiert und entschlackt. Hier kommt ein One-Stop-Shop Prinzip nach dem Motto ein Verfahren, ein Bescheid. So erfolgen etwa naturschutz- oder gewerberechtliche Genehmigung künftig aus einer Hand. „Das vermeidet widersprüchliche Auflagen und reduziert die Verfahrensdauer“, so Mitterlehner. Zudem können Bezirkshauptmannschaften Betriebsanlagen mit geringem Gefährdungspotential schneller genehmigen. Das hilft zum Beispiel Kaffee- und Gasthäusern, Konditoreien, Eissalons, Imbissstuben oder kleinen Hotelbetrieben. „Wir rechnen damit, dass durch diesen Schritt bis zu 50 Prozent aller Betriebsanlagenverfahren als vereinfachtes Verfahren geführt werden. Bisher waren es nur 20 Prozent“, sagt Mitterlehner.
 
Ebenfalls reduziert werden Einreichunterlagen. Die Vorlage des Nachbarverzeichnisses entfällt, was Unternehmern jährlich 60.000 Grundbuchabfragen erspart. Zudem werden bestimmte Anzeigepflichten bei Behörden gestrichen, etwa beim Tausch von einer alten zu einer gleichartigen neuen Maschine, bei emissionsneutralen Änderungen der Betriebsanlage oder auch bei kulturellen und sportlichen Großereignissen. Zudem kommt eine Wahlmöglichkeit bei der Bestellung von Sachverständigen im gewerberechtlichen Genehmigungsverfahren.
 
Die Entscheidungsfristen für Behörden werden gesetzlich verkürzt. Bescheide müssen spätestens innerhalb von vier Monaten (statt bisher sechs) nach Einlangen des vollständigen Anbringens erlassen werden. Die Entscheidungsfrist im so genannten vereinfachten Genehmigungsverfahren wird von drei auf zwei Monate verkürzt. „Das bringt eine Beschleunigung von Verfahren“, so Mitterlehner. Neu ist ein bundesweites Monitoring der Verfahrensdauern im gewerblichen Betriebsanlagenrecht. Die Ergebnisse werden jährlich veröffentlicht, um mehr Transparenz und einen besseren Überblick zu schaffen.
 
Zudem fallen bloß vorübergehende Tätigkeiten nicht mehr unter das Betriebsanlagenrecht. Eine Erleichterung ist das vor allem für Gastgewerbetreibende, denen es ohne eigene Betriebsanlagengenehmigung ermöglicht wird, außerhalb ihrer gewerblichen Betriebsanlage tätig zu werden, etwa bei einem von ihnen veranstalteten Zeltfest. Genauso werden Veranstaltungen eines Gastgewerbetreibenden zum Beispiel auf dem zugehörigen Parkplatz des Gasthauses künftig genehmigungsfrei, wenn sie nur vorübergehend stattfinden. Das hilft auch Pop-up Stores.
 
Teil der Reform ist auch eine Aufwertung der beruflichen Ausbildung. Zum Beispiel sollen heimische Meister- und Befähigungsprüfungen im internationalen Vergleichsrahmen künftig höher eingestuft werden können. „Damit verbessern wir die Durchlässigkeit im Bildungssystem und die Höherqualifizierung. Damit wollen wir auch das Image der beruflichen Ausbildung weiter stärken“, sagt Mitterlehner.
 

2. Sepp Schellhorn 1.2.17:
Gewerbeordnung zugunsten der Kammer zur gewerblichen Verhinderung geht in die nächste Runde

„NEOS werden unermüdlich dafür eintreten, die Gewerbeordnung tatsächlich zu reformieren, um Unternehmerinnen und Unternehmern wieder Chancen zu bieten“

Die vermeintliche Reform der Gewerbeordnung hat heute wenig überraschend die Hürde im Ministerrat genommen. „Damit wird ein System untermauert, das den Unternehmerinnen und Unternehmern nur Steine in den Weg legt und sie bei jeder Gelegenheit abzockt. Das ist keine Reform, sondern eine Verlängerung des Stillstands – allein zum Wohle der Wirtschaftskammer“, zeigt sich NEOS-Wirtschaftssprecher Sepp Schellhorn über den heutigen Ministerratsbeschluss verärgert. Er macht deutlich, dass es nun dringend echte Reformen brauche: „Wir NEOS werden unermüdlich dafür eintreten, die Gewerbeordnung tatsächlich zu reformieren, um gerade jungen Menschen wieder Chancen und Perspektiven zu bieten.“ Die nächste Gelegenheit dazu bietet sich im Wirtschaftsausschuss im Parlament.

„Die Wirtschaftskammer ist nur noch die Kammer zur gewerblichen Verhinderung“, bringt es auch NEOS-Wirtschaftssprecher Sepp Schellhorn auf den Punkt. Es sei klar, dass es für ein unternehmerisches und erfolgreiches Österreich eine tatsächliche Reform der veralteten Gewerbeordnung braucht: ein Gewerbeschein pro Unternehmer und Reglementierung nur dort, wo Leib, Leben und Umwelt betroffen sind. „Wir haben momentan die höchste Arbeitslosigkeit seit 70 Jahren. Und alles, was die Regierungsparteien zusammenbringen, ist es, gerade einmal die Interessen der Sozialpartner zu bedienen“, stellt der NEOS-Wirtschaftssprecher fest und fordert: „Die Zeiten, in denen die Sozialpartner Gesetze nach ihren Eigeninteressen und veralteten Strukturen maßgeschneidert haben, müssen endlich enden.“

3. Sabine Jungwirth 1.2.17:
Hinterwäldlerische Nicht-Reform

Die gerade im Ministerrat beschlossene Novelle der Gewerbeordnung ist zu wenig ambitioniert und verdeutlicht einmal mehr, welch großen Einfluss die Wirtschaftskammer in unserem Land hat. Dies allerdings nicht im Sinne einer Weiterentwicklung zu einem modernen Wirtschaftsstandort, sondern zur Fortsetzung des Protektionismus und Verhinderung von Wettbewerb.

Die Bundesregierung hätte gut daran getan beim ursprünglichen Plan zu bleiben, nämlich der weitest gehenden Liberalisierung der gebundenen Gewerbe. Lediglich dort, wo die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit das Leben und die körperliche oder seelische Gesundheit von Menschen gefährdet, Umweltschäden in erheblichem Ausmaß nach sich zieht sowie das Vermögen von Kunden vernichten kann, wäre eine Reglementierung sinnvoll. Dies trifft aber nur auf einen Bruchteil der nun weiterhin reglementierten Gewerbe zu.

Im Internationalen Vergleich kann das Ergebnis dieser Nicht-Reform damit nur als „hinterwäldlerisch“ bezeichnet werden. Gerade JungunternehmerInnen und Start-Ups werden so in der Entfaltung ihrer ganzen Schaffenskraft behindert. Insbesondere sinnvoll gewesen wäre es auch den Einheitsgewerbeschein für alle freien Gewerbe einzuführen. Statt Mehrfachmitgliedschaften und damit verbundenen hohen Kosten für die Wirtschaftskammermitgliedschaft wäre genau diese Gruppe, aber auch alle anderen Kleinunternehmen, massiv entlastet worden. Durch eine mutige Entrümpelung der Reglementierung wären im Übrigen auch die Komplexitäten der Nebenrechtsregeln zu einem Gutteil weggefallen. Diese werden nämlich noch einen Menge zusätzlicher Bürokratie verursachen!
Zur Reform des Anlagenrechts sei gesagt, dass die Einführung eines One-Stop-Shop-Prinzips zu  begrüßen ist. Die ewige Zurück-an-den-Start-Problematik bei getrennter Abwicklung der Verfahren bei der Genehmigung von Betriebsanlagen verursacht tatsächlich eine Menge Probleme. Jedoch wird es wichtig sein die Qualität der Verfahrensabwicklung im Auge zu behalten, wenn die Verfahrensdauer verkürzt wird. 

Wolfgang Lusak dazu: Auch bei mehrmaligem Hinsehen ist es gar nicht so einfach zu sagen, wer recht hat. Ganz einfach und mit repräsentativen Umfragen belegt kann aber gesagt werden, dass in den letzten 10-20 Jahren der Mittelstand (EPU & KMU bis 250 MA) bei den Österreichern immer beliebter, ja als Krisenretter Nr.1 angesehen wird. Gleichzeitig sehen ihn die Menschen als permanent an Einfluss, Durchsetzungskraft und faire Rahmenbedingungen Verlierenden. Die innovativen, dynamischen, nachhaltig-regionalen aber auch exportierenden Unternehmen brauchen mehr Entfaltungs-Chancen und Leistungsgerechtigkeit, sonst geht mit ihnen das ganze Land unter.

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