Täter-Verständnis statt Opferschutz? Wie die Kultivierung der Verantwortungslosigkeit unsere Gesellschaft zerstört
„Sei kein Schweindl!“ ist die neueste Kampagne der Gemeinde Wien gegen Verschmutzer und sonstige Übeltäter im Straßenbild, eine klare Verniedlichung des permanenten Verfalls des guten Benehmens im öffentlichen Raum. „Sie hat die Schnauze voll“, „Ihm stinkt’s“ und „Sie kotzt es an“ waren die Überschriften einer kürzlich laufenden Info-Kampagne der Wiener Linien. Sie wollte Verhaltensweisen zurückdrängen welche die Fahrgäste stören, z.B. „Alkohol-Konsum, Verunreinigung, Hunde ohne Beißkorb, lautes Sprechen“, etc. Wer häufig die öffentlichen Verkehrsmittel nutzt weiß, dass es da noch schlimmere Dinge gibt wie z.B. Nicht-Aufstehen für Ältere, aufdringliches Betteln und Herumschreien, wie Stehlen, Drogen-Dealen und massive Gewaltanwendungen.
Ärgerlich ist nicht nur das Zunehmen solcher Unsitten in vielen Städten, sondern auch die generelle Hilflosigkeit von Gesetzgebung, Verwaltung und Polizei, welche bei Respektlosigkeit, Aggression und Kriminalität zu lange zugeschaut hat. So wird z.B. in der „Hausordnung“ der Wiener Linien verboten, was keinem normalem Menschen einfallen würde, nämlich „Züge und Anlagen zu beschädigen oder zu beschmutzen“, es wird sogar ersucht, „alle geltenden Rechtsvorschriften unbedingt einzuhalten“. Als ob das sonst nicht überall und für jeden verpflichtend wäre. Das ist fast eine Bankrotterklärung der Staatsgewalt gegenüber einer desorientierten, verrohten Bevölkerungsgruppe ohne Anstand und europäisches Rechtsempfinden. Da muten „Informations-Kampagnen“ wie in Wien recht seltsam an. Was kommt als nächstes? Eine Kampagne gegen öffentliches Urinieren? Gute Ratschläge für sexuell Belästigte? Striktes Verbot von Vergewaltigung? Was würde das den Frauen helfen, die jetzt auf einmal Orte meiden müssen, die sie noch vor wenigen Jahren bedenkenlos betreten haben, nicht einmal in Toiletten und Hotelzimmern sind sie mehr sicher.
Die Wurzeln des Bösen
Die Wurzeln liegen wohl einerseits in zunehmender Egomanie, in den „Just Do It“-Aufforderungen großer Marken, in digitalen Gewaltspielen, in Hass auf Andersdenkende, im Frust geplagter Menschen. Aber andererseits auch in einer konstanten Kultivierung der Verantwortungslosigkeit. Es wird den Menschen zu leicht gemacht als unschuldig zu gelten: Wenn Sucht nur mehr als Krankheit bezeichnet wird, „die jedem passieren kann“. Wenn frauenverachtende patriarchalische Verhaltensmuster als „gelebte Kultur“ hingenommen werden. Wenn Gewalttäter zu leicht mit der Diagnostizierung von das Verbrechen entschuldigenden Störungen, Psychosen und Geisteskrankheiten davon kommen. Dann wird die Eigenverantwortung der Menschen abgewertet, der freie Wille negiert. Dann wären wir alle nur von Genen und Umfeld „vorprogrammierte“ Wesen, keine Menschen. Dann müsste man auch viele Attentäter und Vergewaltiger wegen Traumatisierung und Prägung durch die Brutalität ihrer Väter, Indoktrinierung von Hasspredigern und Kriegs-Erlebnissen als unschuldig frei sprechen. Und das will die Mehrheit sicher nicht.
Soziales und psychologisches Einfühlungsvermögen ist wichtig, wir brauchen auch keine Rückkehr zum sturen „Law und Order“ aber eine wirklich vernünftige Balance zwischen Täter-Verständnis und notwendigem Opferschutz. Wir brauchen mehr Bildung, Integration, Motivation einerseits, klare Grenzsetzungen und ausreichende Sanktionen andererseits. Dann kann sich eine Gemeinde wie Wien so manche No-Na-Kampagne und alle Kommunen viel Leid und Ärger sparen. Die Erhöhung von Strafen, wie sie in letzter Zeit in einigen Bereichen beschlossen wurden ist da vielleicht ein Anfang.
Mag. Wolfgang Lusak
Unternehmensberater und Lobby-Coach