Eines macht uns die „neue ÖVP“ so richtig deutlich: Es gab und gibt auch eine „alte ÖVP“.
Kommentar von Wolfgang Lusak
Die Begeisterung der Bevölkerung für Sebastian Kurz hat viel mit seiner persönlichen, jugendlichen Ausstrahlung, seinem mutig und intelligent wirkenden Stil ohne große Seitenhiebe zu tun. Auch in der Wirtschaft und insbesondere dem Mittelstand regt sich nach viel Enttäuschung in den letzten Jahrzehnten wieder Hoffnung durch die von ihm proklamierte „neue ÖVP“.
Die KMU und Selbständigen mit all ihren Mitarbeitern haben ja besonders viel leiden müssen. Wachsende Bürokratie, Steuer-Ungerechtigkeit, Kapitalnot, ungeeigneten Nachwuchs, Beamten-Privilegien etc. konnten sie mit Fortdauer der Rot-Schwarzen Koalition nicht mehr nur „den Sozialisten“ zuordnen, sie sahen auch die Mitverantwortung ihrer „angestammten“ Partei. Sie erleben eine wachsende Umverteilung von Mitte zu Reich und Arm. Als ganz schlimm wird die Nahversorgung vernichtende Registrierkassenpflicht, der Sozialpartner-Wahnsinn höherer Mindestlöhne ohne Arbeitszeit-Flexibilisierung aber auch der tägliche existentielle Zwang zu strafbaren Handlungen wie z.B. Verfälschung von Mitarbeiterstunden-Aufstellungen empfunden. Sie kommen sich als die neue, ausgebeutete Arbeiterklasse vor, welche die wachsenden Vermögen der Konzerne und zunehmende Arbeitsunwilligkeit von Mindestsicherungs-Beziehern ermöglicht. Sie brauchen keine Förderungen wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Ihre Verzweiflung und ohnmächtige Wut ist einer der Hauptgründe für die Wählerverluste der „alten ÖVP“. Das hat auch die Bevölkerung gemerkt: 63% der Österreicher halten den Mittelstand für sehr wichtig aber nur 20% für einflussreich. 19% der Menschen sehen keine der aktuellen Parteien als für den Mittelstand wählbar an.
Guter Rat: Entschuldigen Sie sich
Deshalb glaube ich, dass sich die Kurz-Liste mit der „neuen ÖVP“ sehr klar von den Fehlern und Schwächen der „alten ÖVP“ distanzieren sollte – das wird nicht leicht fallen aber eine sowieso notwendige Aufarbeitung sein. Ich wiederhole auch meine als guten Rat gemeinte Aufforderung an ihn, sich für die bisherige Benachteiligung des Mittelstandes zu entschuldigen und in sein Programm eine völlig neue, sich der staatstragenden Kraft des Mittelstands bewusste Wirtschaftspolitik aufzunehmen. Das könnte das Vertrauen von bis zu 32% der Wähler gewinnen, das sind nämlich diejenigen, die sich der Wertegemeinschaft Mittelstand zugehörig fühlen und sehr wahrscheinlich Wahl-entscheidend sind.
Für den Blog meiner Plattform „Lobby der Mitte“ hatte ich alle 6 Chefs der im Nationalrat vertretenen Parteien um Interviews zu den jeweils gleichen Fragen zum Thema Mittelstand gebeten. Von 5 bekam ich die Antworten, leider nicht von Sebastian Kurz. Ich kann natürlich verstehen, dass er vom Vorgänger-Abgang-Zeitpunkt überrascht nicht so schnell ein „Neue ÖVP-Wirtschaftsprogramm“ erarbeiten kann und bis zur Fertigstellung keine angreifbaren Positionen verlauten lassen möchte, war aber dennoch enttäuscht. Wenn er es aber letztlich schafft die offenbar vorhandenen „Partikular-Interessen“ von Ländern, Bünden und Personen in seiner jetzt noch vorhandenen „alten ÖVP“ zu überwinden und mit ihren Kadern sowie viel frischem Blut „zusammen neue Wege zu gehen“, dann wird meine Enttäuschung zur Bewunderung werden.
Wolfgang Lusak
Unternehmensberater und Lobby-Coach Mag. Wolfgang Lusak
www.lusak.at office@lusak.at
Schulgasse 18, 1180 Wien, tel 01/ 315 45 36
Wer gerne lesen möchte