Die existentielle Bedeutung der Ökosozialen Marktwirtschaft. Was die Wirtschaft dazu beitragen und wie sie davon profitieren kann. Warum sich die neue Regierung an ihr orientieren sollte.
Ein Interview mit DI Josef Riegler, einem der Väter der weltweit maßgeblichen „Ökosozialen Bewegung“: Er war Landwirtschaftsminister, Vizekanzler und ÖVP-Parteichef. Schon Mitte der 1980er Jahre begann er seine fundamentale Arbeit für eine überlebensfähige Welt mit der Gründung des Ökosozialen Forums. (Foto: Kleine Zeitung)
Welchen Stellenwert hat die Ökosoziale Marktwirtschaft heute?
Riegler: Ökosoziale Marktwirtschaft ist als Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell auf globaler Ebene angekommen. Seit dem Kollaps des ungezügelten, profitgetriebenen Kapitalismus im Jahr 2008 hat in allen großen globalen Institutionen ein Umdenkprozess begonnen.
Das neue Leitbild lautet: „green and inclusive economy“. Das entspricht exakt unserem Modell einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft. Vor allem: Es blieb nicht bei abstrakten Formulierungen, sondern die Staatengemeinschaft hat ganz konkrete Maßnahmen zur Realisierung beschlossen:
1. Im September 2015 die „Nachhaltigen Entwicklungsziele 2015 bis 2030“ der UNO;
2. Im Dezember 2015 den Klimavertrag von Paris.
Auch im „Lissabon-Vertrag“ der EU ist unser Modell verankert: „Eine wettbewerbsfähige Soziale Marktwirtschaft mit einem hohen Maß an Umweltschutz.“ Die österreichische Bundesregierung arbeitete an der Entwicklung einer neuen „Energie- und Klimastrategie“ im Sinne der Ökosozialen Marktwirtschaft. (die nächste Regierung sollte das unbedingt fortsetzen – Anm. der Red.)
Was kann ein modernes Unternehmen in Österreich tun, um von der Ökosozialen Marktwirtschaft zu profitieren?
Riegler: Wenn sich die Prinzipien der Ökosozialen Marktwirtschaft durchsetzen, dann bedeutet das für Unternehmen FAIREN WETTBEWERB unter vergleichbaren Sozial- und Umweltstandards; vor allem aber auch FAIRE STEUERLEISTUNGEN auch für multinationale Konzerne.
Die Praxis zeigt, dass Unternehmen umso erfolgreicher sind, je konsequenter sie die Prinzipien der Ökosozialen Marktwirtschaft anwenden: Ein hohes Maß an Innovation; effizienter Einsatz von Energie und Rohstoffen; umweltschonende Produktionsweise; hohe Motivation der Mitarbeiter durch ein gutes Betriebsklima; gelebte europäische Unternehmenskultur mit Handschlagqualität …
Was ist der Global Marshall Plan und was sind seine Ziele?
Riegler: Der Global Marshall Plan für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft wurde 2003 auf Initiative von Franz Josef Radermacher von Nichtregierungsorganisationen aus Deutschland und Österreich – darunter das Ökosoziale Forum Europa – entwickelt und ist eine Friedensstrategie für die weltweite Entwicklung. Sein Ziel ist die Zusammenführung von zwei globalen Strategien: 1. Faire Entwicklungschancen für alle durch gelebte Entwicklungspartnerschaft
(Global Marshall Plan); 2. Faire Spielregeln für die Weltwirtschaft durch eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft.
Die im September 2015 von der UNO-Generalversammlung beschlossenen „Nachhaltigen Entwicklungsziele“ sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Ebenso der Klimavertrag von Paris mit der Zusicherung, zwischen 2020 und 2025 pro Jahr 100 Milliarden US-$ für die unschuldig vom Klimawandel geschädigten ärmeren Länder bereitzustellen.
Was kann man sich unter „Nova-Europa“ vorstellen?
Riegler: Nova-EUropa ist eine im Jahr 2003 von jungen, europabegeisterten Österreichern gestartete Initiative mit dem Ziel, den europäischen Einigungsprozess um einen Qualitätssprung
weiterzuentwickeln. Wir gehen davon aus, dass sich innerhalb der 27 Mitgliedstaaten jene Staaten enger zusammenschließen sollen, deren Ziel eine entscheidungsfähige Gemeinschaft für eine gemeinsame Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs-, Finanz- und Wirtschaftspolitik ist. Ein erster Schritt zur Realisierung wäre eine gemeinsame Wirtschaftsregierung für die Staaten der Eurozone, da sich gezeigt hat, dass eine gemeinsame Währung auch einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik bedarf. In einem zweiten Schritt könnten sich innerhalb der EU, die als solche bestehen bliebe, mehrere Staaten zu einer gemeinsamen Politikgestaltung in Form einer „Europäischen Föderation“ zusammentun.
Gleichzeitig sollte die EU wieder strikt nach den Prinzipien der Subsidiarität gestaltet werden:
Nur die großen Aufgaben gemeinsam, die Gestaltung des praktischen Lebens aber so nahe wie möglich bei den Bürgern in Gemeinden, Bundesländern und Mitgliedstaaten. Weg mit dem Verordnungswust aus Brüssel!
Wird sich die Ökosoziale Marktwirtschaft global durchsetzen?
Riegler: Die Prinzipien der Ökosozialen Marktwirtschaft sind von UNO, Internationalem Währungsfonds, Weltbank, OECD und der G-20 im Modell der „green and inclusive economy“ übernommen worden. Es ist zwar zu befürchten, dass durch die derzeitige US-Administration ein Rückschlag eintritt. Aber langfristig MUSS sich das Konzept der Balance zwischen leistungsfähiger Wirtschaft, sozialer Solidarität und ökologischer Verantwortung durchsetzen, wenn die Menschheit nicht im Chaos versinken soll!
Welchen Beitrag kann jeder persönlich dazu leisten?
Riegler: Das ist das Wunderbare an diesem Modell:
Ökosoziale Marktwirtschaft beginnt beim persönlichen Verhalten jedes einzelnen Menschen!
Wie ist mein Einkaufsverhalten als Konsument?
Wie gestalte ich meine Mobilität?
Wie ist meine Energienutzung?
Wie ist mein Freizeitverhalten?
Wie verhalte ich mich in meinem sozialen Umgang in Familie, Nachbarschaft, Arbeitsstätte und in Gemeinschaften?
Wie informiere ich mich und wie trage ich zur Bewusstseinsbildung bei?
Für all das gibt es auch einen leicht anzuwendenden Maßstab: Den ökologischen Fußabdruck! Die 17 Punkte der „Nachhaltigen Entwicklungsziele“ der UNO und der Klimavertrag von Paris bieten JEDEM Menschen Möglichkeiten für eigene Aktivitäten!
Josef Riegler
Um die Thematik wirklich umfassend begreifen zu können und auch die Erfordernisse an Menschen wie Staaten kennen zu lernen empfiehlt sich der Blick in die aktuelle, großartige und ausführliche Präsentation von Josef Riegler. LINK: Weltweite ökosoziale Marktwirtschaft – ein Projekt für Gerechtigkeit und Frieden
Dieses Interview wurde im 1.Halbjahr 2017 für Gady-Kundenzeitung „Partner 3/2017“ gegeben und mit besonderer Erlaubnis von DI Josef Riegler auch hier veröffentlicht
Anmerkung von Lobby der Mitte: Wir danken dem großen Pionier der ökosozialen Marktwirtschaft für seinen bis heute erbrachten, wertvollen Einsatz für Gesellschaft und Umwelt und gratulieren zu diesem wunderbaren Lebenswerk!
Josef Riegler ist derzeit in der ökologischen Gesellschaftspolitik tätig. Er war von 1987 bis 1991 Minister und Vizekanzler in zwei österreichischen Bundesregierungen und von 1989 bis 1991 Bundesparteiobmann der Österreichischen Volkspartei. Um das Jahr 1986 prägte er den Begriff der Ökosozialen Marktwirtschaft, die den Umweltschutz als politische Kategorie in die Soziale Marktwirtschaft mit einbezieht. Diese Konzeption verfolgt er weiterhin in der Global Marshall Plan Initiative, deren österreichischer Koordinator er ist. Josef Riegler ist Ehrenpräsident des Ökosozialen Forums und im Beirat Förderverein Ökologische Steuerreform.