Gleich drei große Vordenker zum Thema Wohlstand und Wohlstands-Ökonomie mit den fundamentalen Fragen „Was ist das optimale Wirtschaftssystem? Was müssen wir tun, damit alle Menschen vom Wirtschaftssystem profitieren? Wie KMU zum nachhaltigen Erfolg verhelfen?“ geben hier verblüffend klare aber auch unterschiedliche Antworten: Prof. Dr. Martin G. Kocher vom IHS, Dr. Franz Schellhorn vom Thinktank Agenda Austria und Prof. Johannes Linder & Prof. Mag. Werner Holzheu (nicht im Bild) als Interpreten der Denkweise der Utopisten. Wer hat recht? Was soll sich die Politik da abschauen?
Die Gedanken und Antworten der 4 Top-Experten werden hier mit Erlaubnis unseres Partners BUSINESSART/Lebensart Verlag bzw. von Herausgeberin Roswitha M.Reisinger vorgestelt, welche diese am 22. November 2017 im BUSINESSART-Newsletter veröffentlicht hat.
„Gibt es das optimale Wirtschaftssystem?“ Beitrag von Verhaltensökonom Prof. Dr. Martin G. Kocher, Institut für Höhere Studien (IHS)
Das Wirtschaftssystem ist die Summe von Regeln, Normen und Institutionen, die unser wirtschaftliches Handeln bestimmen. Dabei geht es beispielsweise um Märkte, um Wettbewerb, um sozialen Ausgleich, um individuelle Entscheidungen wie Sparen oder Anlegen und um gesetzliche Vorgaben genauso wie um informelle Normen soziale Gepflogenheiten. Aber auch Kooperation und Vertrauen spielen nicht nur im privaten Bereich, sondern auch in und zwischen Unternehmen eine ganz wichtige Rolle.
Wirtschaftssysteme entwickeln sich evolutionär, entlang wirtschaftlicher Notwendigkeiten, aber auch natürlich entlang langfristiger politischer und vor allem gesellschaftlicher Entwicklungen und Trends. Geld entstand zum Beispiel als notwendige Innovation zur Erleichterung des Tauschhandels. Viele Finanzinstrumente entstanden aus den Notwendigkeiten, die die Agrarwirtschaft und der internationale Handel im Mittelalter mit sich brachten. Die aktuellen Regeln zur Geldmengensteuerung haben sich als Konsequenz der nicht mehr möglichen Golddeckung ergeben. Die Arbeiterbewegung, die sich als Reaktion auf die erste industrielle Revolution gebildet hat, ist ein weiteres bekanntes Beispiel.
Entscheidend ist, dass Wirtschaftssysteme nicht oktroyiert werden können. Sie sind die Ausgestaltung der Regeln und Institutionen, die sich die Mehrheit geben möchte. Gibt es keine Mehrheit für ein System, kann es langfristig nicht stabil existieren. Und auch eine Interaktion zwischen dem wirtschaftlichen und dem politischen System gibt es. Demokratie scheint langfristig nur mit einer sozialen Marktwirtschafts kompatibel zu sein. Es gibt zwar Beispiele für autoritäre Systeme, die marktwirtschaftlich waren bzw. sind, aber die Kombination scheint langfristig ins Ungleichgewicht zu tendieren. Gleiches gilt für eine Zentral-Verwaltungswirtschaft, die nur schwer mit einer Demokratie gekoppelt werden kann.
Natürlich müssen die Regeln und Institutionen auch in einer sozialen Marktwirtschaft immer wieder angepasst und aktualisiert werden. Wir wissen sehr genau, dass der Markt gewisse Güter nicht bereitstellt (sogenannte öffentliche Güter) und nicht alle Kosten und Nutzen dem Verursacher bzw. der Verursacherin zuordnet (sogenannte externe Effekte). Hier muss die öffentliche Hand mit Anreizen, mit Ge- und Verboten und mit anderen institutionellen Arrangements eingreifen und tut dies auch. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang sind natürlich Bildung, Forschung und Umweltschutz als Aufgaben der öffentlichen Hand. Außerdem wird durch die soziale Marktwirtschaft ein funktionierender Wettbewerb auf Märkten nicht garantiert. Daher kann die Rolle des Staates als Regulator sowie als Garant für stabile Rahmenbedingungen (Stichwort: Rechtssicherheit) und faire Märke gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Die größte Herausforderung der kommenden Jahre wird es sein, jene Personen in den entwickelten Volkswirtschaften, die als Niedrigqualifizierte sowohl unter der Globalisierung als auch unter der fortschreitenden Digitalisierung leiden, eine wirtschaftliche Perspektive zu geben. Dies kann mittels Aus- und Weiterbildung, mittels regionalpolitischer Maßnahmen, aber auch mittels eines Zukunftsversprechens hinsichtlich der Chancengleichheit für deren Kinder passieren. Nur über Bildung und Forschung schaffen wir es, dass alle Menschen am wirtschaftlichen Erfolg partizipieren können.
Wirtschaftssysteme ändern sich ständig. Das optimale gibt es nicht. Es gibt einige, wenige optimale Kriterien, aber darüber hinaus geht es um einen gesellschaftlichen Konsens über die Art und Weise, wie wir als Menschen interagieren.
„Das müssen wir ändern!“ von Dr. Franz Schellhorn, Direktor Agenda Austria (er war lange Jahre als Journalist und stv. Chefredakteur für Die Presse tätig)
Was müssen wir ändern, damit..
1. …alle Menschen vom wirtschaftlichen Erfolg profitieren?
Wer vom wirtschaftlichen Erfolg profitieren will, braucht eine Erwerbsquelle. Sei es als Selbständiger, der eine Leistung mit Gewinn verkauft oder sei es als Arbeitnehmer. Daher gilt es, Unternehmertum zu erleichtern und die Arbeitslosigkeit zu senken. Und zwar nicht durch öffentliche Beschäftigungsprogramme, die sich schon oft als ineffizient erwiesen haben. Möglichkeiten der Lohnfindung auf Betriebsebene, weniger steile Lebensverdienstkurven, Schulen, die nicht jeden vierten 15-Jährigen als funktionalen Analphabeten entlassen, wäre einige wichtige Schritte.
2. … genügend Arbeitsplätze entstehen, die so bezahlt sind, dass man davon leben kann?
Das beste Arbeitsmarktprogramm sind möglichst viele Unternehmen und ein dauerhaft hohes Wachstum. Doch das allein reicht nicht. Der Staat schnappt sich derzeit einen zu hohen Anteil von den Arbeitskosten. Letztere steigen jährlich, ebenso die Einnahmen des Staates, während die Reallöhne nur geringfügig wachsen. Es sollte umgekehrt sein: Der Staat muss also seine Kosten senken, um den Arbeitnehmern einen höheren Anteil der Arbeitskosten zu überlassen. Das ist derzeit nicht der Fall, das Problem sind aber weniger die Lohnsteuern als die zu hohen Belastungen mit Sozialabgaben.
3. …kleine und mittlere Unternehmen erfolgreich wirtschaften können?
Viele Menschen in diesem Land haben hervorragende Ideen – man muss sie diese nur umsetzen lassen. KMU leiden besonders an der Überbürokratisierung Österreichs. Wenn Restaurants vorgeschrieben wird, wie ihre Speisekarte auszusehen hat, oder das Buchbindergewerbe als gefährlich eingestuft wird, ist klar: Der Regulierungswahn ist außer Kontrolle geraten. Daher sollte wie in Großbritannien das „One-in-two-out“-Prinzip gelten: Für jede neu eingeführte Regulierung müssen bestehende Regulierungen entfallen, und zwar im Verhältnis von 1:2 der mit der Regulierung verbundenen Kosten. Dazu sollte noch die „Sunset“-Klausel gelten, wonach Regulierungen automatisch nach sieben Jahren ablaufen. Denn nur mit der richtigen Balance zwischen unternehmerischer Freiheit und dem Schutz von Konsumenten und Arbeitnehmern kann der Staat ein gutes Wirtschafts- und Investitionsklima schaffen.
4. …einzelwirtschaftliche Entscheidungen demokratische Prozesse in unserer Gesellschaft stärken?
Es ist vielleicht nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich, aber: Kapitalismus und Demokratie sind ohnehin miteinander verschwistert. So gesehen ist eine möglichst robuste Marktwirtschaft ein sehr guter Indikator dafür, wie demokratisch eine Gesellschaft bzw. ein Land ist. Ohne gesichertes Recht auf Eigentum, ohne die Erwartung, dass geschlossene Verträge auch eingehalten werden, kann eine Marktwirtschaft nicht auf Dauer funktionieren. Das merkt etwa auch Chinas Führung, die schrittweise Verbesserungen vorgenommen hat.
5. …Österreich neue Herausforderungen wie die Digitalisierung gut meistert?
Digitale Technologien und immer leistungsstärkere Maschinen treiben den Umbruch der Wirtschaft in atemberaubender Geschwindigkeit voran. In den nächsten Jahren werden die Weichen gestellt, wo sich der Standort Österreich hin entwickeln wird. In wegweisenden Bereichen wie der Gründung und Finanzierung von Unternehmen sowie Nutzung neuer digitaler Technologien schafft es Österreich momentan nicht, die in der Vergangenheit aufgebauten Wettbewerbsvorteile zu sichern. Für Gründungen fehlt es an risikobereiten Geldgebern. Digitale Technologien müssen in der Bildung und öffentlichen Verwaltung angewendet werden, damit Österreich nicht den Anschluss an digital führende Nationen verliert. Wir sollten uns nicht von der Angst steuern lassen, sondern die Chancen erkennen.
„Was würden dazu die Utopisten sagen?“
von Prof. Mag. Johannes Lindner, Leiter des Fachbereiches Entrepreneurship Education und Kompetenzzentrums für wertebasierte Wirtschaftsdidaktik der KPH Wien/Krems; Prof. Mag. Werner Holzheu ist Wirtschaftspädagoge an der HLTW Wien XIII und Forschungsbeauftragter am Fachbereich für Entrepreneurship Education und am Kompetenzzentrum für wertebasierte Wirtschaftsdidaktik der KPH Wien/Krems.
Drei der wichtigsten Utopisten sind Platon, Thomas Morus und Robert Owen. Utopien sind meist positive Gesellschaftsentwürfe, Gedankenspiele, wie es anders, besser gehen könnte. Die erste Utopie stammt von Platon, seine „Politeia“ ist ein Gegenentwurf zum korrupten Athen seiner Zeit. Thomas Morus ist Namensgeber der utopisten durch sein Hauptwerk „Vom besten Zustand des Staates und der neuen Insel Utopia“. Er hat den Begriff aus den altgriechischen Worten für „Nicht“ (ou) und „Ort“ (topos) kreiert. Robert Owen, der englische Unternehmer und Frühsozialist, war der Erste, der für seine Zeit utopische Gedanken „Wohlstand für alle“ versucht hat zu realisieren. In New Lanark in Schottland setzte er ein Experiment für menschenwürdige Arbeitsbedingungen durch, mit seiner Utopie New Harmony, einer genossenschaftlich organisierten Kolonie in den Vereinigten Staaten scheiterte er jedoch.
Was muss sich ändern, damit…
1. …alle Menschen vom wirtschaftlichen Erfolg profitieren?
Platon und Morus sind radikal. Hier gibt es kein Privateigentum. Möglicherweise sind Morus’ Ideen inspiriert vom Zusammenleben der Mönche. Owen ist für Umverteilung und fordert einen „fair share“ für schlechter Verdienende. Kleinster gemeinsamer Nenner der drei Utopisten wäre wahrscheinlich ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle.
2. … genügend Arbeitsplätze entstehen, die so bezahlt sind, dass man davon leben kann?
Die zur Versorgung der Bevölkerung notwendige Arbeit sollte laut Utopisten auf alle verteilt werden gegebenenfalls auch unter Zwang. Auf Utopia beispielsweise reichen laut Morus aber schon 6 Stunden täglicher Arbeit von allen aus, um die zur Versorgung notwendigen Güter bereitzustellen. Auch Owen steht für kürzere Arbeitszeiten in seiner Baumwollspinnerei in New Larnak hat er neben vielen Maßnahmen der Humanisierung der Arbeit auch eine Arbeitszeitverkürzung von 14 auf 10,5 Stunden pro Tag umgesetzt.
3. … kleine und mittlere Unternehmen erfolgreich wirtschaften können und die Ressourcen unserer Erde nachhaltig genutzt werden?
Wirtschaftliche Strukturen sind zu Zeiten Platons und Morus noch kleinräumig und in erster Linie durch die Landwirtschaft bestimmt. Heute ist die Bedeutung der Landwirtschaft zwar in den Industrieländern stark zurückgegangen, nicht aber weltweit, mit derzeit zirka 2,5 Mrd. Menschen Beschäftigten. Die Utopisten würden sich wahrscheinlich den Forderungen des Weltagrarrates nach einer radikalen Änderung der Landwirtschaft anschließen (weltagrarbericht.de): Nicht Produktivitätssteigerung um jeden Preis, sondern die lokale Verfügbarkeit von Lebensmitteln und Produktionsmitteln vor Ort seien entscheidend. Damit ließen sich mehrere Ziele gleichzeitig verfolgen: Reduktion des Hungers, Förderung lokaler, kleinräumiger wirtschaftlicher Strukturen und maximale Ressourcenschonung.
Die Kontroverse um den Weltagrarbericht zeigt jedoch auch, wie schwierig es ist, dass sich Utopien durchsetzen. So haben sich globale Konzerne noch vor Fertigstellung des Papiers vorzeitig zurückgezogen, weil die grüne Gentechnologie nicht entsprechend berücksichtigt wurde. Zudem haben wichtige Staaten den Endbericht nicht unterzeichnet.
4. …die Demokratie erhalten bleibt?
Hier ist die große Schwachstelle der Utopien. Den meisten Utopien werden totalitäre Züge vorgeworfen (Abschaffung von Privateigentum oder Arbeitszwang). Das zeigen auch die im Laufe der Geschichte entstandenen Anti-Utopien (Dystopien), wie zum Beispiel Orwells 1984, Huxleys „schöne neue Welt“ oder Jewgeni Samjatins „Wir“.
Trotz aller Schwierigkeiten bleiben Utopien wichtig, weil durch Sie mögliche Lösungswege aufgezeigt werden können.
Lobby der Mitte lädt zur Diskussion (Zustimmungen oder Gegenreden) dieser Gedanken und Lösungsansätze ein: Gastbloggen oder Mailen