In meinen bisherigen Kommentaren habe ich immer versucht das Positive, die Chance und die Lösungsansätze VOR das Negative, die Bedrohung und die Verzweiflung zu stellen. Dennoch habe ich mich zu diesem dramatischen Titel entschlossen, einfach weil nur in der ehrlichen und offenen Betrachtung der Realität die Basis für Verbesserung, Änderung der Ziele und für eine neue Politik steckt.
Jetzt droht die Gesellschaft zu zerfallen
Nein, ich bin jetzt kein Untergangs-Prophet geworden, aber schauen wir der Wirklichkeit in die Augen, um daraus konstruktive Lehren zu ziehen.
Sehr sehr viele Menschen sind zu tiefst verunsichert. Corona hat sie auf Ihre persönliche Verletzlichkeit aufmerksam gemacht, die anschließende Wirtschaftskrise lässt sie in finanzielle Existenzangst verfallen, die schon davor bestehende Klimakrise lässt sie am Überleben der Menschheit zweifeln. Gleichzeitig haben uns das Internet und dessen Hauptakteure nicht nur breiten Zugang zur Information sondern auch zu Desinformation, Manipulation, zu Fake News und zu Hass-Botschaften eröffnet. Unverantwortlich handelnde Rechts- und Links-Populisten, kapitalistische Konzerne (nicht alle, aber zu viele) und fanatische Fundamentalisten scharen ungebildete Massen um sich, um ihre vereinfachenden Botschaften mit Brot & Spielen zu verbreiten.
Der Kampf um die Zustimmung zu neuen Zielen, Programmen, Angeboten der Eliten einerseits und der Massen andererseits hat unfassbare Dimensionen erreicht. Deswegen sind auch in unserer Sprache zwei Kategorien entstanden, a) die Massen-Verständnis taugliche, sehr komprimierte und einfache Werbe- und PR-Sprache, und b) die Experten-, Manager-, Philosophen- etc.-Sprache, welche in die Tiefen der Komplexität von Technologie, Biologie, Soziologie, Digitalisierung etc. eindringt und dabei für Uneingeweihte und Bildungs-ferne völlig unverständlich ist. Weil die Bildung der Massen – gewollt und ungewollt – mit dem bewussten Fortschritt und auch dem nicht steuerbaren Taumeln der Führungskräfte nicht Schritt halten kann. Das ist der Kern der Spaltung, wenn die Mehrheit der Menschen nicht mehr versteht, was los ist. Wenn nach links und rechts, nach oben und unten gezerrt wird. Wenn die Mitte verloren geht.
Die anderen sind die Bösen
Wenn also Angst, Orientierungslosigkeit und das Bombardement polarisierender Botschaften zunehmen, dann entscheiden sich viele dazu, diesen Botschaften zu folgen. Weil sie dann das Gefühl haben zumindest in dieser Botschaft, Bewegung, Gruppe oder Partei eine Zugehörigkeit, eine Heimat, eine Geborgenheit gefunden zu haben. Es beendet kurzfristig das verwirrt und verstört sein über das, was richtig oder falsch ist und schafft einen (trügerische) Rückhalt und Wir-Standpunkt. Die anderen sind die Bösen und wir die Guten. Ich brauche nicht mehr nachdenken.
Und das bedeutet wiederum, nicht mehr differenzieren zu können, keinen freien Willen mehr zu haben, sich einer Position voll und ganz zu ergeben. Und damit ist sie da, die Spaltung der Gesellschaft. Die Enttäuschung, Wut und Selbstzerstörung der Menschen. Weil es fast keinen Platz mehr zum Ausweichen gibt, weil die Städte aus den Nähten platzen, die Natur immer mehr versiegelt wird, die Verarmung der Massen zunimmt und der wertvolle, ausgleichende Mittelstand immer mehr Bedeutung verliert.
Political Correctness wird zur Sprachpolizei
Gleichzeitig werden auch die Risse im Wirtschaftssystem tiefer. Alles was mit waghalsigen Kapital-Aufnahmen, Subventionen, Krediten, Kurzarbeits-Förderungen usw. am Leben erhalten wurde, die vielen „Nice to have“- und Luxus-Produkte-Unternehmen, alle hoch spekulativen Projekte und Investments, alle künstlichen Marktblasen, viele reine Marketing-Marken werden jetzt zugrunde gehen – und mit Ihnen werden Millionen Arbeitsplätze und Milliarden an Kaufkraft zugrunde gehen.
Und das spüren alle. Und das lässt die extremistischen Gegenspieler auf einander prallen. Kollateral-Schäden werden in Kauf genommen. Graffitis werden zu geschmierten Hass-Parolen, Internet-Blogs zu verbalen Schlachtfeldern, Drogen zu Zufluchtsorten für Verzweifelte, Demonstrationen zu Plünder-Feldzügen, kriminelle Clans zur breiten Bedrohung. Political Correctness wird zur Sprachpolizei, Glauben zum Hass auf „Ungläubige“, das „Faustrecht“ wendet sich nicht nur gegen Schwächere und Frauen, sondern auch gegen die Staatsgewalt und bisher „unantastbare“ Funktionen und Institutionen.
In der Corona-Krise verstärkt sich leider dieser Trend
Weil unter den Slogans „Koste es was es wolle“ und „Niemand wird zurückgelassen“ nur wieder das alte kapitalistische EZB-Verschuldungs-Modell fortgesetzt und weiter auf die Spitze getrieben wird: Die oberen 10% bekommen auf Grund Ihres Vermögens weiterhin noch mehr Geld für Ihre Investitionen, die unteren 60% werden mit Brot und Spielen am Leben und bei Laune gehalten – und die vielleicht 30% Mittelstand werden ruiniert. Das Problem ist, dass dann niemand mehr wirklich arbeitet, weil die Reichen ihr Geld arbeiten lassen wollen und die Armen vom Staat – also vom Steuerzahler und Innovator Mittelstand – „gerettet“ werden und zu Untätigkeit oder Pfusch verführt nur wenig zur echten Wertschöpfung beitragen. Die einzigen die hoch-produktiv, effizient und nachhaltig Leistung erbringen sind die Mittelstandsbetriebe, die werden aber am wenigsten gestützt und in den Untergang getrieben – der dann ein Untergang für uns alle sein wird.
2 isolierte Welten verursachen den Menschheits-Untergang
Was nach der Zerstörung des Mittelstandes – dem letzten Bindeglied zwischen kapitalistischem Wasserkopf oben und aufgeblähtem „Working-Poor“-Fundament unten übrig bleibt sind zwei getrennte Welten. Einerseits die Welt der gierig-rücksichtslosen Elite, die sich in „sichere“ Häuser und Luxus-Zonen zurückzieht und andererseits eine geistig wie körperlich verkommene Massengesellschaft, die sich mit „normaler“ Arbeit nicht mehr über Wasser halten kann. Dann ist aus der bestehenden „Schachfiguren-Gesellschaft“, die in der Mitte nur mehr von einem dünnen Hals zusammengehalten wird endgültig die 2-Welten-Gesellschaft geworden, die dann ungehindert die Zerstörung der Menschheit mit Ausbeutung, Korruption, Pandemien und Kriegen finalisiert. Dann ist die Erde mit Ihrer Natur von „Krebsgeschwür“ der Menschheit befreit. Außer sie besinnt sich rechtzeitig ihrer Mitte und wird wieder zu einer runden Gesellschaft.
Mitte-Politiker dürfen sich daher nicht der Spielart der populistische Extreme unterwerfen, müssen selbst „das Spiel machen“. Sie dürfen nicht nur eine Brücke zwischen Links und Rechts, Reich und Arm, Leistungsträgern und mit Sozialhilfe Versorgten sein, sondern die Mitte echt stärken und ausfüllen. Sie müssen den Kapitalismus im Zaum halten und die unverschämte Anspruchsgesellschaft in die Schranken weisen. Sie müssen die Menschen vor dem Klima-Hitze-Tod retten und innovativ-nachhaltige Leistung belohnen. Dazu brauchen sie keine Schachfiguren, sondern gebildete, selbst bestimmt lebende, unternehmerische und fleißige Menschen. Die runde Mitte eben.
Mag. Wolfgang Lusak ist Unternehmensberater, Lobby-Coach und Mittelstands-Interessenvertreter. www.lusak.at (Lusak Consulting) bzw. www.lobbydermitte.at (Lobby der Mitte)
ACHTUNG: Dr. Heribert Purtscher hat mit seinem Ergänzungs-Kommentar „Wir haben noch 2 Chancen“ einen beachteten aber auch kritisierten Beitrag zu dieser Thematik und Problematik geleistet