Viele Produktionsbetriebe, Verarbeiter, Handwerker und Händler klagen aktuell über Lieferengpässe und steigende Preise. Wir wollten wissen, wie das der Grandseingneur der österreichischen Einkaufslandschaft, ein echter Top “Supply-Chain”-Experte und Geschäftsführender Vorstand des BMÖ – Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich, nämlich Dkfm. Heinz Pechek sieht. Danke fürs super-erhellende Interview, die kompetente Nachhilfe!
Was tue ich bei Lieferengpässen?
- Welche Ursachen haben die aktuellen Lieferengpässe bei Rohstoffen, Digital-Produkten u.a, vitalen Bestellungen, von denen man in Medien aber auch in der mittelständischen Wirtschaft hört?
Lieferengpässe können grundsätzlich vielerlei Ursachen haben, man muss daher jedenfalls differenzieren:
- in welchen Produkten bzw. Produktsegmenten, in welchen Materialgruppen Lieferengpässe auftreten
- bei welchen Lieferanten/Lieferantenkategorien sie auftreten
- aus/in welchen Märkten/Regionen/Ländern diese Engpässe entstehen/begründet sind
- ob sie aus der “Urproduktion“ (Landwirtschaft, Bergbau,…), von Herstellern und von welcher Stufe (tier) der Hersteller, Händlern, oder Transportverfügbarkeiten herrühren
- wann sie erstmals aufgetreten sind, ob sie jetzt erstmalig auftreten , wie lange sie bestehen und erwartungsgemäß noch bestehen werden.
Die Ursachen der aktuellen Lieferengpässe bei Rohstoffen aber auch bei den Final- oder Halbfinalprodukten – sei es „konventioneller“ oder der für die Digitalisierung benötigen Produkte wie alles im IT-, Halbleiter-, Strömungsbereich etc. – sind äußerst vielfältig:
- Abbau-Probleme (bestehen aktuell besonders bei Rohstoffen)
- Produkten, jeglicher Fertigungsstufe für den IT-& Digital-Bereich
- Corona-bedingte Betriebsstätten-Schließungen
- Sicherheitsmaßnahmen (auch home-office fällt darunter)
- Engpässe in den Transportkapazitäten; (v. a. Fernost)
- Engpässe durch Personalmangel und Corona-bedingter Auflagen wie z.B. dass für LKW-Fahrer Fahr- & Reiseverbote bestehen
- Produktionsrücknahmen
- Schließung von Transportwegen
- Grenz- & Routensperren, unterbrochene Verbindungen, Unfälle wie z.B. am Sueskanal
- Deutlich gestiegene Nachfrage in der verarbeitenden Industrie. Das mag überraschend klingen, aber vor allem in den von der Pandemie stark betroffen europäischen Märkten und auch in der USA gab und gibt es einen raschen Wiederaufbau-Bedarf in stark betroffenen Wirtschaftszweigen – nach oder oft auch schon während des Corona Hypes
- Vorziehkäufe und verstärkter Lageraufbau in der Industrie
- Nahezu regelmäßig auftretende Produktions- & Lieferprobleme im Stahlbereich, v.a. verstärkt durch die derzeit europaweit gute Bau- , Investitions- und Konsum-Konjunktur (nach dem Motto „wenn wir schon nicht verreisen dürfen, bauen wir eben unser Haus & Garten um“)
- Gestiegene private Nachfrage nach Gütern, die man „schon lange kaufen wollte“ – und jetzt Zeit und Geld dafür einsetzen will
- Auch „Hamsterkäufe“ -sicher nicht die Hauptursache im industriellen Bereich – können auch eine Rolle spielen
Wichtiger Hinweis: In solchen Liefer-Krisenzeiten bewähren sich langfristig gute, partnerschaftliche Verbindungen zu Lieferanten – wie sie heute in fortschrittlichen Industrien und Kunden-Lieferantenbeziehungen gepflegt werden und in denen es wichtig ist „den Kunden nicht hängen zu lassen”, die auf ihre „preferred customers“ achten und umgekehrt auch gerne “preferred suppliers“ bleiben wollen. Wer diese Verbindungen noch nicht hat: es wird Zeit sie aufzubauen!
- Manche echte oder falsche Experten munkeln, dass die Engpässe und die damit verbundenen Preiserhöhungen eher „künstlich“ herbei geführt wurden, Spekulanten und Börsianer würden ihr Unwesen treiben. Was ist daran wahr?
Solche Meinungen gab, gibt es und wird es immer geben. Es ist auch nicht auszuschließen, dass dies in einigen Produkt- & Marktsegmenten so ist oder auch noch werden wird, aber die Hauptursache für die gegenwärtige Verknappung und Engpaß-Situation ist dies sicher nicht. Corona benötigt keine Spekulanten für Preiserhöhungen, Rohstoff-, Material- und Lieferengpässe..
- Welchen Ratschlag geben Sie KMUs, die unter Engpässen bei ihren Bestellungen und Lieferungen bzw. starken Preiserhöhungen leiden?
Alles durchforsten und durchsuchen, wo noch „Corona-freie“ Produzenten/Lieferanten zu finden wären (auch in Zwischenstufen und Unternehmen, die ähnliche Rohstoffe/Materialien beziehen und verarbeiten, , auch in den eigenen Vormaterial- und Lagerbeständnen und denen der 1st und 2nd tier-Lieferanten). Außerdem Lager abbauen, im Netzwerk befreundeter oder anderer Unternehmen nach Beständen suchen/fragen, Kammern und Interessenvertretungen einschalten, Sourcing-Plattformen nutzen etc. Und: wichtig: den Materialanteil dieser Produkte reduzieren, wenn möglich Alternativen suchen (Stichwort Wertanalyse!!)
Natürlich auch den Absatzmarkt analysieren, allenfalls Kundenselektion etc. betreiben. Kunden zur Bedarfsverlagerungen oder Verschiebung bewegen, Einkäuferverbände wie den BMÖ oder, deutlich größer, den BME einschalten und um Informationen & Unterstützung ersuchen. Handelskammern und Exportorganisationen der WKO, IHK und anderer vglb. Organisationen, Diplomatische Vertretungen anfragen. Internationale Einkäuferorganisationen wie z.B. die IFPSM einbinden, sowie in Fach- & Publikums-Presse in den Herkunftsländern Bedarf kommunizieren, Elektronische Ausschreibungs-Plattformen, Marktplätze analysieren und einbeziehen. Persönlich Kontakte zu bestehenden aber auch zu bisher nicht in Geschäftsbeziehung stehenden Lieferanten nutzen, Kunden nach Vorräten und Lagerständen befragen, etc.etc. Auch Reisen, so möglich, in betroffene Gebiete, dort Fracht- und Transportpartner befragen und einbinden. Nach Materialien von/bei anderen Kunden suchen etc.
Ad Preiserhöhungen: Auf Vertragserfüllung bestehen (leichter gesagt als durchgesetzt) , auf langjährige, vergangene & zukünftige Geschäftsbeziehung beziehen. Verhandeln, auf später verschieben, Materialanteil reduzieren, Alternativprodukte einsetzen (wenn´s geht.) etc.
Und auf der Absatzseite als ultima ratio: Produktionsprogrammanalyse, vorübergehende Reduktion des Verkaufs-Angebotes, Kundenselektion,
Aber wie gesagt: ultima ratio! Verlorene oder vertröstete Kunde kommen kaum wieder.
- Was wäre die richtige Antwort der österreichischen Wirtschaftspolitik auf diese unangenehme bis gefährliche Entwicklung?
Gegen Lieferengpässe hilft keine Regierung, auch nicht gegen Preiserhöhungen, da können nur Stützprograme helfen und langfristig ein globale, liberale Wirtschafts- und Handelspolitik mit Abbau von Handelsschranken und guter internationaler Vernetzung. Vielleicht in dem einen oder anderen Ausnahmefall Intervention der Außenhandelsvertretung , der diplomatischen Vertretung oder der persönliche Kontakt.
Hier können – für die Zukunft – nur erlaubte Zusammenschlüsse und Kooperation von Unternehmen, profunde Material-und Marktkenntnisse, Materialreduktionenen, Suche nach neuen verwendbaren Materialien, nach Produkt-& Produktions-Innovationen helfen – das einkäuferische Handwerks-Instrumentarium schlechthin. Wenn gar nichts mehr von der Beschaffungsseite her geht: Lieferkontingente und –beschränkungen. Fokus auf „preferred customer“, Kundenselektion, u.a. dgl.
- Wie verhält sich der BMÖ als Interessenvertretung in dieser Situation?
- Aufklärend, beratend
- Information und Unterstützung via befreundeter Einkäuferverbände und der internationalen Einkäufer-Vereinigung bietend,
- Marktkenntnis über Beschaffungs-Netzwerke, Anbieter & Technologie-getriebener Lösungen (Plattformen, Marktplätze etc.)
- Kontaktvermittlung zu Unternehmen, die ähnliche Problemfelder haben
(C) Heinz Pechek, 20.05.2021, 15:00
Dkfm. Heinz Pechek
Member of the Board IFPSM
Geschäftsführender Vorstand des ÖBM – Bundesverband Materialwirtschaft,
Einkauf und Logistik in Österreich
ZUR PERSON
- Jahrgang 1945, studierte in Wien Betriebswirtschaft.
- Von Beginn seiner beruflichen Laufbahn an widmete er sich der berufsbegleitenden Weiterbildung,
- insbesondere in Führung, Marketing, Einkauf und Materialwirtschaft
- Gemeinsam mit führenden Praktikern baute er die erste, durch ihre Praxisnähe anerkannte Einkäufer-Aus- und Weiterbildung in Österreich auf.
- Angeregt durch Aufenthalte und Kontakte in den USA, Großbritannien und in Skandinavien war es ihm immer ein Anliegen, die Verbindung zwischen Praxis und Wissenschaft in Einkauf & Supply-Chain-Management herzustellen.
- 1998 gründetet er gemeinsam mit engagierten österreichischen Einkaufsmanagern den BMÖ Bundesverband Materialwirtschaft Einkauf und Logistik in Österreich,
- von 1998 – 2005 war er an der Donau-Universität Krems tätig, baute dort das Kompetenz-Center für Certified Programs auf und errichtete neben anderen akademischen Programmen unter anderem den ersten postgradualen
- Masterlehrgang in Einkauf & Supply-Chain Management im deutschen Sprachraum.
- Als Kollegiums-Mitglied dieser Universität nahm er regen Anteil an deren kontinuierlicher Entwicklung und dem Ausbau und war auch gemeinsam mit anderen für die Aktivitäten dieser Universität in den CEE-Staaten verantwortlich.
- Die Verleihung des Austrian e-Procurement Awards durch den BMÖ und das Engagement des BMÖ in den Ländern Mittel- und Osteuropas sind für Pechek ein signifikanter Ausdruck aktiven Beschaffungsmanagements, die enge Verbindung des BMÖ mit dem BME, dem führenden
- Einkäuferverband in Europa ist ihm ein dauerhaftes Anliegen.
- Von 2005 – 2008 war Pechek akademischer Leiter des Professional Master of Science Programmes „Global Purchasing & Supply-Chain Management“ an der LIMAK, der Johannes Kepler Universtiy Business School.
- Ab 2005 setzte er den kontinuierlichen Aufbau der BMÖ-Akademie, die heute ein überaus breites und für seine Qualität anerkanntes Programm an Certified Programs der berufsbegleitenden Weiterbildung in Einkauf & Supply Chain Management und, in Kooperation mit der KMU-Akademie in Linz, ein einzigartigen duales Weiterbildungsprogramm für Einkauf & SCM , das mit dem akademischen Grad eines MBA – Master of Business Administration der Middlesex University London abschließt.
- Daneben initiierte er zahlreiche Auszeichnungen und Awards, u.a. den Österreichischen Marketing-Preis, den Österreichischen Agrarmarketing-Preis, den Österreichischen Logistik-Preis und, im BMÖ, den Austrian Supply Excellence und Einkauf 4.0 Award.
- 2014 wurde ihm für sein Verdienste das Große Silberne Ehrenzeichen der Republik Österreich verliehen.
- Er stand und steht mit führenden internationalen Einrichtungen der Einkäufer-Ausbildung, so z.B. mit CAPS (Center of Advanced Purchasig Studies), mit anerkannten Wissenschaftern und Praktikern im In- und Ausland in Kontakt.
- Er war und ist Mitglied in zahlreichen nationalen und internationalen Organisationen z.B. IFPSMM (International Federation of Purchasing & Supply Chain Management, in deren Vorgänger Organisation er auch als Executive Committe Member tätig war, ist Mitglied der ISIR (International Society of Inventory Research), IPSERA (International Purchasing and Supply Education and Research Association), SOLE (Society of Logistics Engineers), etc.