Wir bringen diesen in die „Die Deutsche Wirtschaft (DDW) – Stimme des Mittelstands“ gebrachten ARTIKEL von Nils Koerber, weil er auf sehr profilierte Weise die ungerechtfertigte „Unsichtbarkeit“ des unternehmerischen Mittelstands in Deutschland anprangert in dem er die Ursachen der fast vollständige Missachtung seiner „elementaren Werte“ erklärt. Und damit indirekt auch die Situation des Mittelstandes in Österreich trifft. Danke dafür!
Außen vor oder mitten drin? Der elementare Wert des Mittelstands
Mittelständische Unternehmen können einen erneuernden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und damit letztlich auch politischen Prozess anstoßen und dem allgegenwärtigen reagierenden Umgang mit den Umständen einen aktiven, eigenverantwortlichen Gegenentwurf bieten. Das enorme Potenzial des Mittelstands für eine gestaltende gesellschaftliche Rolle liegt in seiner wirtschaftlichen Macht, in seinen besonderen Strukturen, in seiner sozialen und gesellschaftlichen Rolle.
Von Nils Koerber
Woran messen wir den Wert eines Unternehmens? In der Nachfolgeberatung geht das meist über ein Ertragswertverfahren. Bei einem anderen Bewertungsansatz wird der Unternehmenswert durch Abzinsung der für die Zukunft ermittelten Überschüsse (Cashflow) ermittelt. So weit, so trocken. Was fällt dabei auf? Der elementare, der wesentliche Wert mittelständischer Unternehmen, ihre gesellschaftliche Verantwortung, findet sich in diesen Berechnungen nirgendwo wieder.
Der luftleere Raum
Wenn etwas in Berechnungen nicht stattfindet, liegt die Vermutung nahe, dass es auch ansonsten eher unter dem Radar fliegt. Dieser Eindruck, dass also in vielen Unternehmen keine Vorstellung mehr davon herrscht, verantwortlicher Teil der Gesellschaft und Mitglied einer Gemeinschaft zu sein, hat sich spätestens seit der Finanzkrise 2008/2009 in der öffentlichen Wahrnehmung verstärkt. Die Unternehmenslandschaft steht im Verständnis des Normalbürgers irgendwie außen vor, in einer sich selbst befeuernden Blase mit eigenen Regeln, ist einem diffusen Markt verpflichtet und/oder den Anteilseignern. „Wirtschaft“ hat eine andere Ordnung, andere Gesetze, eine andere Presse und eine andere Terminologie als der Rest der Welt. Besagter Rest der Welt kommt da nicht mehr mit – und soll es wohl auch gar nicht.
Aber: Gesellschaftliche Verantwortung ist Teil des DDW-Mittelstands-Scorings
Die gesellschaftlichen Dimensionen von Unternehmen fließen auch in die Berechnungen ein, die die DDW-Research zur Ermittlung des Rankings der 10.000 wichtigsten Mittelständler zugrundelegt. Zu den 30 Kriterien, die den DDW-Scoringindex ausmachen, zählt beispielsweise, ob ein Unternehmen Vereine oder soziale Organisationen unterstützt, ob es Ausbildungsplätze schafft, über Hochschulkooperationen verfügt oder Nachhaltigkeitsmaßnahmen durchführt.
Dieser Rest der Welt bekommt leider auch nicht mit, dass sich Familienunternehmer überall in Deutschland engagieren. Sie sind eingebunden in die Orts- und Gesellschaftsstruktur, in der sie existieren und sich entfalten. Vielleicht schon seit Generationen sind Unternehmer Mitglied im Sport- und Schützenverein, unterstützen den örtlichen Fußballklub, engagieren sich karitativ auch als Rotarier, Lion oder in ähnlichen Zusammenschlüssen.
Wirkzusammenhänge werden überall deutlich, wenn man hinschaut
Neben diesen ehrenwerten und ehrenamtlichen Tätigkeiten ist ein Gros der Familienunternehmer allerdings auch auf der gesellschaftlich-politischen Ebene aktiv, in Kaufmannschaften oder Kammern. Familienunternehmen nutzen ihren Einfluss meist im Stillen, wie die Bertelsmann-Stiftung unlängst in einer Studie bemängelte. Mehr Öffentlichkeit täte gut, denn dann könnte der Rest der Welt sehen, dass Unternehmertum niemals „außen vor“ ist, sondern immer Teil der Gesellschaft, in der es existiert. Wer das „vor Corona“ für irrelevant hielt, weiß es spätestens jetzt. Jedes Unternehmen ist in ein enges Beziehungsgefüge eingebettet, das innerhalb eines multilateralen Systems funktioniert und sich durch Geben und Nehmen gestaltet. Die Einflussfaktoren sind vielfältig, teilweise sehr deutlich, teilweise nur mikroskopisch sichtbar oder erst in der Nachbetrachtung erkennbar.
Unternehmen im Mittelstand sind konkretes Vorbild für einen Wertewandel: Für ein neues Denken und Handeln ohne Abhängigkeiten. Wie kann das Prinzip der Eigenverantwortung auf Mitarbeiter, Organisationen und Gesellschaft übertragen werden? Das Buch „Wie Freiheit schmeckt“ von Nils Koerber ist ein Appetit-Macher für Unternehmertum (tredition Verlag 2021)
Wirkzusammenhänge werden überall deutlich, wenn man hinschaut: Ein politischer Wechsel oder ein neues Steuergesetz beeinflussen den Handlungsraum jedes Unternehmens deutlich. So weit, so klar. Es kann auch die Tochter sein, die dem Vater beim Abendessen begeistert von „Fridays for Future“ erzählt und damit neue Aspekte in sein unternehmerisches Wirken einbringt. Auf der anderen Seite der Stadt wiederum zieht ein Unternehmen ein Logistikzentrum hoch, das zum einen 120 Arbeitsplätze schafft, zum anderen ebenso viele Brutplätze für Vögel vernichtet.
Der fehlende reale Bezugsrahmen entlässt den Einzelnen aus der Pflicht
Das sind lediglich ein paar Beispiele, die zeigen: Wir erfahren täglich, dass wir nicht im luftleeren Raum wirtschaften. Unternehmer können deswegen gar nicht anders, sie werden in ihrem Wirken immer beeinflusst werden. Aber reziprok haben auch sie immer einen Einfluss. Das ist ihr elementarer gesellschaftlicher Wert und wer diesen missachtet, kündigt quasi den Vertrag auf, weil er in einer Aufgabenteilung aus Geben und Nehmen die Geberrolle außer Acht lässt. Die Frage kann daher nicht sein, ob Unternehmer sich ihrer Wirkung bewusst sind, sondern wann sie bereit sind, die Verantwortung für diese Wirkung zu übernehmen – für die Mitarbeiter, die Produkte und Dienstleistungen, die Kunden, für das Umfeld, für die Umwelt.
Durch das fehlende Verantwortungsbewusstsein, besonders in Konzernstrukturen oder abstrakten Eigentumsverhältnissen, entsteht eine große Gefahr. In dem Moment, in dem Handelnde sich aus ihrer Verantwortung stehlen, werden sie in einem verantwortungsfreien, abstrakten Raum immer größere Risiken eingehen. Für sie wird der Kapitalmarkt ausschlaggebend, nicht mehr der Warenmarkt, Geld wird mit Anteilen gemacht, nicht mehr mit Produkten oder Leistungen. Dieser Wandel verführt vielleicht dazu, immer mehr zu wollen. Man fühlt sich nicht mehr Mitarbeitern oder Kunden verpflichtet, sondern nur noch der Vermehrung der immer größeren Summen, die täglich auf dem Bildschirm hin- und hergeschoben werden. Der so Handelnde wird seinen scheinbar immunisierenden Handlungsraum ausweiten wollen und die Mechanismen der sogenannten freien Märkte weitgehend ausschöpfen.
Diese Art von Wirtschaft hat weitreichende Folgen für unser Denken als Menschheit. Durch den fehlenden realen Bezugsrahmen entlässt es jeden Einzelnen aus der Pflicht. Bar und frei jeder sozialen Aufgabenteilung schädigen wir unser Umfeld und unser Miteinander.
Mittelständische Unternehmen können einen aktiven, eigenverantwortlichen Gegenentwurf bieten
Mittelständische Unternehmen hingegen können einen erneuernden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und damit letztlich auch politischen Prozess anstoßen und dem allgegenwärtigen reagierenden Umgang mit den Umständen einen aktiven, eigenverantwortlichen Gegenentwurf bieten. Wir dürfen nicht vergessen, dass mittelständische Unternehmen einen Anteil von 99,5 Prozent an den 3,5 Millionen deutschen Unternehmen haben. Wenn sich nur 1 Prozent dieser Millionen organisiert und gemeinsam neue Modelle für Veränderung findet, dann werden die Auswirkungen gewaltig sein.
Nils Koerber
Nils Koerber ist Nachfolgespezialist und Gründer von KERN-System GmbH und mit dem KERN-Initiative Unternehmercheck mit dem Innovator des Jahres 2021 ausgezeichnet worden.