Die Signa-Insolvenz übertrifft alles bisher in Österreich Dagewesene. Manche staunen, welche Machenschaften da rund um Benko zu Tage traten, wie heftig die Signa-Insolvenzen die Wirtschaft trifft und letztlich uns alle. Viele wollen das schon lange vorausgesehen haben. Aber wenige, jedoch sehr maßgebliche Menschen haben vorher bis heute gar nicht reagiert! Da setzt der neue, wie immer genial treffsicher formulierte „Economist Insider“-Newsletter-Kommentar „Stoppt denn niemand die Pyramidenspieler?“ vom 9.1.24 von Josef Urschitz von DIE PRESSE ein. Und gerade heute, am 16.1.24 kommt bei mir noch ein 2. Newsletter von Urschitz zum gleichen Thema herein: „Und wir werden nichts daraus lernen“. Danke vielmals und großes Kompliment für beide Kommentare! Bitte lesen Sie also hier beide Kommentare hintereinander:
1. Economist-Insider-Newsletter von Josef Urschitz vom 9.1.24
Stoppt denn niemand die Pyramidenspieler?
Na, bieten Sie auch schon mit? Es stehen derzeit ja höchst interessante Devotionalien zur Versteigerung an: René Benkos Klobesen aus dem Wiener Chefbüro etwa. Oder Türmatten mit der Aufschrift „Signa“. Beides gebraucht. So eine Chance, Erinnerungsstücke an die größte Insolvenz dieses Landes zu ergattern, hat man nicht alle Tage.
Den kurzfristigen Kapitalbedarf von mehr als 300 Mio. Euro wird der eingesetzte Sanierer damit zwar nicht ganz decken. Aber auch Kleinvieh macht Mist, nicht wahr. Zudem kann man damit Geschäftigkeit zwecks Aufarbeitung der seltsamen Pleite signalisieren.
Diese Geschäftigkeit vermissen wir derzeit schmerzlich bei der Aufarbeitung durch Aufsicht, Banken und Gesetzgeber. Offenbar findet es niemand komisch, dass man Hunderte Millionen von nicht existierenden, weil rein auf Basis von Bewertungsgutachten entstandenen Gewinnen ganz real an Aktionäre ausschütten (und damit dem Unternehmen Substanz entziehen) kann.
Offenbar stört es auch niemanden, dass das in Österreich existierende Verbot, solche Scheingewinne zu Dividenden zu machen, auch für hier tätige Unternehmen ganz leicht zu umgehen ist. Und offensichtlich haben auch alle schon vergessen, dass genau dieser Mix aus Aufwertungsgewinnen und Nachbesicherungen von so aufgewerteten Immobilien vor 15 Jahren die größte Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg ursächlich ausgelöst hat.
Es scheint auch niemanden zu jucken, dass man die „kleine GmbH“, die dazu gedacht war, Kleinunternehmen die teure Wirtschaftsprüfung zu ersparen, dafür missbrauchen kann, Milliarden-Holdings vor Bilanztransparenz zu bewahren. Und was sich die Geistesgröße von Gesetzesbastler dabei gedacht hat, 700 bis 4200 Euro als „Zwangsstrafe“ festzulegen, wenn bilanzpflichtige Milliarden-Unternehmen einfach ihre Abschlüsse nicht veröffentlichen, wollen wir gar nicht wissen. Das braucht ja der Firmenjet beim Anlassen der Triebwerke. Wirklich abschreckend, so was!
Dass Aufsichtsräte nichts „beaufsichtigen“, sondern offenbar gemütliche, wenn auch gut bezahlte Plauderrunden sind, sind wir aus vergangenen Skandalen ohnehin schon gewohnt. Da gäbe es für Gesetzgeber, Aufsichtsbehörden und interne Bankenabläufe wirklich viel zu tun. Es passiert aber nichts. Offenbar lässt sich bei solchen Pyramidenspielen auf dem Weg zur Insolvenz zu viel verdienen, um da aktiv zu werden. Also: Warten wir halt auf die nächste konsequenzenlose Großpleite.
Trotz allem einen schönen Tag
Josef Urschitz
2. Economist-Insider-Newsletter von Josef Urschitz vom 16.1.24:
Und wir werden nichts daraus lernen
Während in der Insolvenz der Signa-Gruppe – der größten, die die Republik je erlebt hat – jetzt die wahren Probleme diskutiert werden – etwa der sich in einer nachgebauten blauen Grotte im Badezimmer manifestierende fragwürdige Geschmack des Gründers René Benko –, wollen wir uns heute der nebensächlichen Frage widmen, ob so etwas ein einmaliges Ereignis ist oder ob es wieder passieren könnte. Die Antwort gleich vorweg: Ja, natürlich kann das wieder passieren. Jederzeit. Weil die dahinterstehenden Mechanismen immer die gleichen sind. Und der Mensch nun einmal aus der Geschichte nichts lernt.
Einen kleinen Hinweis auf die dahinterstehenden Muster hat uns Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer neulich in einem ORF-Interview gegeben. Gusenbauer hat als Mehrfach-Aufsichtsratspräsident im verwinkelten Signa-Reich sowie als Berater und Geldbeschaffer Benkos eine recht wichtige Rolle in der Mega-Pleite gespielt. Seine Sicht auf sich selbst: Alles richtig gemacht. Schuld an allem ist die EZB.
Die hat nämlich nicht nur die Zinsen erhöht und damit das unter anderem auf ewige Nullzinsen und Immobilienpreissteigerungen beruhende Luftschloss-Modell des Immobilien-Tycoons ins Wanken gebracht, sondern auch noch die Banken spät, aber doch vor dem einsturzbedrohten Pyramidenspiel aus Aufwertungen und Nachbesicherungen gewarnt und zu mehr Vorsicht bei der Kreditgewährung aufgefordert.
Jetzt ist es nicht so, dass Gusenbauer nicht weiß, dass es weder ewige Nullzinsen noch ewige Immobilienpreissteigerungen geben kann und dass sich das sehr ertragreiche Aufwertungsmodell mit der gleichen Wucht ins Gegenteil verkehrt und zur finanziellen Massenvernichtungswaffe wird, wenn die Zinsen steigen und die Immo-Preise sinken. Immerhin hat es mit der Welt-Finanzkrise 2008 ja genug noch recht frisches Anschauungsmaterial dafür gegeben.
Und es ist wohl auch nicht anzunehmen, dass die Investoren der Immobiliengruppe – durch die Bank sehr erfolgreiche Großunternehmer – mit der gleichen Naivität an die Niedrigzinsspekulation herangegangen sind wie so mancher Häuselbauer, der jetzt auf untragbar hohen flexiblen Kreditraten sitzt.
Es war ihnen wahrscheinlich nur egal. Immerhin muss es durchaus möglich erschienen sein, vor dem absehbaren Crash nach einer unvermeidlichen Immobilienmarkt-Wende so viel herauszuholen, dass trotz weitgehenden Verlusts des ursprünglichen Investments immer noch ein Gewinn herausschaut.
Die EZB hatte also wegen der Signa-Praktiken Alarm geschlagen. Aber so ein Konglomerat hat ja auch Aufsichtsräte. Alfred Gusenbauer zum Beispiel. Denen ist nichts aufgefallen?
Dazu muss man wissen, dass der Aufsichtsrat de facto keine Kontrollinstanz ist, also nichts „beaufsichtigt“, sondern den verlängerten Arm der Eigentümer darstellt. Die bestellen die Mitglieder (mit Ausnahme der vom Betriebsrat entsandten). Die Aufsichtsräte sind zwar ebenso wie deren Chef weisungsfrei. Aber: „Es ist dennoch anerkannt, dass sie die Interessen der Entsender oder der nominierungsberechtigten Personen in die Gesellschaft einbringen“, vermeldet die einschlägige Literatur.
Was also sollen die Armen machen? Sich auf die Hinterbeine stellen, wenn Konzernfirmen jahrelang keine Bilanzen legen oder wenn den Unternehmen Substanz durch die Ausschüttung fiktiver Aufwertungsgewinne an die Gesellschafter de facto entzogen wird? Dann ist das ja ihre letzte Funktionsperiode und sie sind weg vom lukrativen Futtertrog.
Und auch von vielen anderen. Denn Ex-Politiker „kauft“ man sich ja nicht wegen ihrer überschäumenden wirtschaftlichen Expertise ein (obwohl ich die dem sehr umtriebigen Ex-Kanzler Gusenbauer wirklich nicht absprechen möchte), sondern wegen ihres übervollen Telefonbüchleins. Die darin vermerkten Kontakte lassen sich hervorragend für Lobbying und Geldbeschaffung verwerten. Das ist jetzt nichts Illegales oder Verwerfliches. Es ist einfach so.
Es menschelt ja auch in der großen Wirtschaft. Dazu ein kleines Stück aus dem Nähkästchen: Abendessen eines Großunternehmers, schon einige Jahre zurückliegend. Anwesend: Bankengeneräle, Baulöwen der oberen Kategorie und so weiter. Und ein junger Mann, der als Immobilienentwickler vorgestellt wird und von dem man einander hinter vorgehaltener Hand zutuschelt, er sei ein
„g’schickter Bursch, womöglich der neue Benko“. Was dann geschieht, macht den ebenfalls anwesenden kleinen Maxi ein wenig ratlos: Mächtige Wirtschaftslenker umschwärmen den jungen Mann, der von seinen Plänen fabuliert, nach der Devise „Nimm doch bitte mein Geld“, „Nein, meines!“ Und man beginnt zu verstehen, wie ein junger Tiroler mit großen Plänen und noch größerem Selbstbewusstsein so problemlos zu Milliardenkrediten renommierter Banken (nicht nur österreichischer) gelangen konnte.
So funktioniert Wirtschaft, und dieses zutiefst menschliche Streben nach Profiten, koste es, was es wolle, bringt durchaus auch Wesentliches hervor. Die Großinvestoren des Signa-Reichs haben ihre eigenen Konzerne ja selbst teilweise aus relativ kleinen Anfängen durch Ideen, Überzeugungskraft und Mut zu finanziellem Risiko aufgebaut.
Dass allerdings ganz offenbar fragwürdige Geschäftsmodelle nicht einmal dann hinterfragt werden, wenn schon außenstehende Organisationen wie die EZB Alarm schreien, ist eine der Schattenseiten dieses Systems. Und dass es de facto keine Kontrollinstanzen gibt, die da die Notbremse ziehen, ein Weiteres.
Wir werden diese Riesenpleite ohne Systemkrise überstehen. Und wir werden nichts daraus lernen. Spätestens beim nächsten Immobilienboom, der ebenso sicher kommt wie der nächste Immobilienpreisverfall, werden wir dieses Spiel wieder beobachten. Und uns erneut wundern, wie das alles hat passieren können.
Trotz allem einen schönen Tag
Josef Urschitz