Wir bringen diesen Kommentar von Jeannine Hierländer aus DIE PRESSE, weil er unfassbar treffend die Situation der Politik, der FPÖ, die Fehler der „alten großen Parteien“ sowie die Meinung der Österreicher beschreibt. Weil er das ganze Elend einer sich nur selbst erhaltenden Politik aufzeigt, aber auch Wege in eine bessere Zukunft. Lobby der Mitte und Wolfgang Lusak sagen Bravo und Danke!
Wie komm‘ ich dazu?
von Jeannine Hierländer, stv. Ressortleiterin Economist, Die Presse
Mit dem Wahlsieg der FPÖ werden wir uns noch genauer auseinandersetzen müssen. Inhaltlich nämlich. Bis jetzt passiert das politisch für meinen Geschmack zu wenig. Der haushohe Wahlsieg der Blauen war offenbar eingepreist, die Aufregung hielt sich entsprechend in Grenzen. Klar war für die politische Konkurrenz nur, dass man Kickl sicher nicht zum Kanzler machen werde. Schnell wurden Koalitionsvarianten ausgelotet, aber mit der Frage, was die alten und die neuen FPÖ-Wähler eigentlich wollen, was man selber – vor allem die ÖVP – ihnen nicht geboten hat, wollte sich seit der Wahl niemand ernsthaft auseinandersetzen. Zumindest nicht vor dem Vorhang.
Es ging bei dieser Wahl nicht nur um Zuwanderung. Inhaltlich trieb auch das Thema Teuerung die Wähler um. Allerdings, am stärksten beschäftigte die FPÖ-Wähler nach wie vor das Thema Migration. Die 29 Prozent für die Blauen zeigen: Die alten, beliebten Erklärungen für das Erstarken der Rechten sind überholt. Es ist offenkundig nicht (mehr) so, dass nur „abgehängte Modernisierungsverlierer“, die Angst vor der Zukunft haben, Rechtsaußen wählen. Auch bei den Frauen und den Jungen war die FPÖ diesmal vorn. Nicht einmal der Gender Gap hat sich gehalten.
Die FPÖ wurde zur Volkspartei, zur „Catch-All-Party“, so Meinungsforscher Peter Hajek. Auch bei den Angestellten lag die FPÖ vorne. Bloß in den großen Städten konnte sie nicht gewinnen, wenn auch ordentlich zulegen.
Meine „Lieblingserklärung“ für den Aufstieg der rechten Populisten ist die, dass es den etablierten Parteien nicht gelinge, ihre Inhalte zu kommunizieren, ihre Politik gut genug zu erklären. Ich sehe es so: Es wurde nicht zu wenig erklärt. Es wurde zu wenig geliefert. Um beim Beispiel Migration zu bleiben: Es sind nicht diffuse Ängste vor gewissen Migrantengruppen, die den Aufstieg der Rechten befeuern. Menschen spüren die Auswirkungen der starken Zuwanderung längst hautnah: In den Schulen, den Spitälern, den Parks, auf den Straßen. Das Thema Migration – und damit ist ausdrücklich nicht die qualifizierte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt gemeint – wurde einfach viel zu lange dem rechten Rand überlassen. „Die Migrationsfrage entscheidet auch die nächste Wahl“, schreibt Kollege Daniel Bischof im Leitartikel.
Zum Beispiel hat es die ÖVP als staatstragende Partei verabsäumt, zeitgerecht eine zivilisierte Debatte zu führen über die Sinnhaftigkeit gewisser Passagen aus jenen internationalen Verträgen und Gepflogenheiten, die zur Folge haben, dass den Nationalstaaten bei der Handhabung ihrer Asylpolitik weitgehend die Hände gebunden sind. Die ÖVP hätte auch antizipieren müssen, dass die hohen Flüchtlingszahlen eine Welle an Zuzug durch die Familienzusammenführung nach sich ziehen werden. Denn „ein Großteil der Migranten kommt über arrangierte Ehen und Familiennachzug in die EU”, und nicht über die ungesicherten Außengrenzen, schrieb der Bevölkerungsexperte Rainer Münz im „Pragmaticus”.
Jedenfalls haben wir jetzt den Scherm auf. Viele Wähler sind tatsächlich zum Schmied (der FPÖ) gegangen und nicht zum Schmiedl, weil sie nach all den Jahren, in denen die politische Mitte das Thema Zuwanderung und Islamisierung nicht ernst genug genommen hat, in der Hinsicht nur noch der FPÖ vertrauen. Ich zitiere eine Kollegin, die voriges Jahr anlässlich der neuen ÖVP-FPÖ-Regierung in Niederösterreich klagte: „Wie komm‘ ich dazu, dass mir immer die Blauen um die Ohren fliegen, nur weil die anderen das Thema nicht auf die Reihe kriegen?“. Ja, danke. Sehe ich auch so.
Um Österreichs Wohlstand langfristig zu sichern, braucht Österreich jedenfalls mehr Zuwanderer mit Knowhow und weniger mit Alphabetisierungsbedarf. Wer zu diesem Thema glaubhaft politische Lösungen findet, hat die besten Chancen, den Blauen bei der nächsten Wahl Platz 1 wieder streitig zu machen.
Spannend wird, wie sich die Unternehmerschaft zu einer erstarkten FPÖ positioniert. Georg Knill, oberster Industrievertreter, hatte in einem „Kurier“-Interview kurz vor der Wahl Sympathien für eine FPÖ-Regierungsbeteiligung kundgetan. Die FPÖ habe mit ihrem Wirtschaftsprogramm „einen interessanten Move gemacht“, sagte er. Dagegen habe es noch nie „so ein schlechtes, wirtschaftsfeindliches Programm der SPÖ gegeben wie dieses.“ Jetzt ist er eher auf Tauchstation, aber wir halten Sie natürlich auf dem Laufenden.
Jedenfalls muss die nächste Regierung liefern, und das nicht nur beim Thema Zuwanderung und Integration. Österreich steckt das zweite Jahr in der Rezession. Jetzt geht es darum, ein Umfeld zu schaffen, das Wachstum ermöglicht und möglichst vielen Menschen eine positive Zukunftserzählung bietet. Die dann hoffentlich auch eintritt. Es ist nämlich längst nicht alles schlecht. Die Statistik Austria hat diese Woche ihre Zahlen für das Bruttoinlandsprodukt zurück bis ins Jahr 1995 revidiert. Zwar war die Rezession 2023 etwas stärker, als bisher angenommen. Doch das Wirtschaftswachstum war in den Jahren davor etwa besser, und der Wohlstandsverlust, gemessen am BIP pro Kopf, fiel weniger stark aus, als befürchtet. Hier geht‘s zur Recherche.
Foto-Credit: Clemens Fabry
siehe auch: Der Mittelstandsbarometer 2024