Dieser Kommentar, ein „Economist Insider Newsletter“ vom 27.3.25 von Jeannine Hierländer aus DIE PRESSE ist ein Musterbeispiel für klare und ausgewogene Meinungsvermittlung, weil er zum „heiklen“ (warum eigentlich?) Thema Migration einen Weg der Mitte sucht zwischen der Menschlichkeit und Schutzwürdigkeit von Verfolgten einerseits und den Grenzen der Belastbarkeit eines Landes durch Alsylanten, die mehr als verträglich in ein europäisches Sozialsystem hineindrängen und dabei zu wenig Integrations- und Leistungsbereitschaft zeigen. Lesenswert, wie sie den Begriff „Festung Österreich“ versachlicht. Danke für solche Kommentare.
Migration: Das große Missverständnis
von Jeannine Hierländer, stv. Ressortleiterin Economist, Die Presse
Wer etwas über Kommunismus erfahren möchte, sollte sich die Geschichte von Jihyun Park zu Gemüte führen. Die gebürtige Nordkoreanerin hat die Gräuel des Realsozialismus am eigenen Leib erfahren: Hunger, exzessive Gewalt, Umerziehung im Straflager, Verfolgung. In ihrer Verzweiflung ließ sie sich von Fluchthelfern nach China schmuggeln, denn legal darf man das „Paradies auf Erden“ nicht verlassen. Das stalinistische Terrorregime spürte sie auf, holte sie zurück, steckte sie ins Arbeitslager. Die unmenschlichen Zustände dort schilderte sie meiner Kollegin Susanna Bastaroli: „Es gab nur zwei Eimer und einen Lappen. Der musste für alles herhalten, auch im Fall einer Menstruation. Alles roch widerlich, war verdreckt. Mahlzeiten bestanden aus Suppe mit Erdklumpen. Wir waren Tiere für sie. Wobei nicht einmal Tiere so behandelt werden.“ Beim zweiten Anlauf gelang Jihyun Park schließlich die Flucht aus Nordkorea und in die Freiheit: Heute lebt sie in England und ist Politikerin für die konservative Tory-Partei. |
Für Menschen wie Jihyun Park wurde das moderne Asylwesen erschaffen. Menschen, die nicht einmal im Ausland vor dem Regime in ihrem Herkunftsland sicher sind. Die darauf angewiesen sind, den Schutz des Rechtsstaates zu erhalten, sobald sie seinen Boden betreten. Die Lehren aus der Shoah, als sich zahlreiche Länder, darunter die Schweiz und die USA, weigerten, Juden aufzunehmen, fanden ihren Niederschlag im ersten universell geltenden Abkommen, das grundlegende Rechte von Flüchtlingen festlegt: der Genfer Flüchtlingskonvention. Eine historische Errungenschaft. . |
Leider wurde das Asylrecht mit der Zeit immer großzügiger ausgelegt und daher ad absurdum geführt. Heute kommen bekanntlich nicht nur politisch Verfolgte, sondern zahlreiche Armutsmigranten, die sich in Europa ein besseres Leben erhoffen. Das kann man ihnen zwar nicht verdenken. Für die Gastländer geht sich das aber immer weniger aus, wie sich an den Problemen im Schul- und Gesundheitssystem, der zunehmenden Gewalt und der frustrierten Bevölkerung zeigt. |
Umso erstaunlicher, dass sich eine Theorie bei manchen Intellektuellen hartnäckig hält: „Dass gerade jene Länder, in denen rechte Parteien Migration verteufeln, sie brauchen – und sie in Zukunft immer mehr brauchen werden.“ So fasste das die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger am Dienstag in einem Gastbeitrag für die „Presse“ zusammen. Sie zitierte den damaligen EU-Kommissar für die Förderung des europäischen Lebensstils, Margaritis Schinas, der 2023 sagte, dass Europa zurzeit „eher Lkw-Fahrer als Raketenwissenschafter“ brauche. Derzeit aber würden Zielländer alles tun, um „möglichst unattraktiv für Migranten zu sein“. . |
Da ist sicher etwas dran. Aufgrund der alternden Bevölkerung werden in Österreich und auch in Deutschland tatsächlich nicht nur topqualifizierte Fachkräfte, sondern Arbeitskräfte in vielen Bereichen gesucht. Österreich lockerte deshalb erst kürzlich seine Zugangskriterien zur Rot-Weiß-Rot-Karte, und in Deutschland trat 2020 das „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ in Kraft, das den Zuzug von Arbeitsmigranten erleichtert. Dass die Zielländer alles tun, um unattraktiv für Migranten zu sein, stimmt also nicht. Sie bemühen sich eher um das Gegenteil. |
„Eine ‚Festung Österreich‘ im Sinne eines kompletten Abdichtens der Alpenrepublik mit seiner 2700 Kilometer langen Grenze ist unmöglich“, schreibt Kohlenberger weiter. Auch das ist interessant: Denn eine Festung dient ja dazu, durch Abriegelung jene abzuhalten, die nicht in die Festung hineinkommen sollen – um selbst zu entscheiden, wer hineindarf. Sie dient dem eigenen Schutz. Das ist ja per se noch nichts Schlechtes. . |
Nicht einmal die FPÖ spricht sich grundsätzlich gegen jede Art der Migration aus. So heißt es im Wahlprogramm der Freiheitlichen: „Wo es erforderlich ist, soll eine qualifizierte Zuwanderung in den österreichischen Arbeitsmarkt möglich sein. Strikt lehnen wir eine Zuwanderung in unser Sozialsystem ab.“ |
Es stimmt: Migranten sind aus Österreichs Wirtschaft nicht wegzudenken. Ein Viertel der rund vier Millionen unselbstständig Beschäftigten in Österreich kommt aus dem Ausland. Im Tourismus hat mehr als die Hälfte der Beschäftigten keinen österreichischen Pass. Doch während der Zuzug aus der EU direkt in den Arbeitsmarkt geht, schlägt sich die Asylmigration stark in der Sozialhilfestatistik nieder. Die Arbeitslosenquote der Ungarn in Österreich liegt bei 5,1 Prozent, das ist niedriger als die der Österreicher (6,7 Prozent). Bei Syrern hingegen sind es 37 Prozent. Drei Viertel der in Wien lebenden Syrer beziehen Mindestsicherung. 2023 waren bereits 41 Prozent der Bezieher von Sozialhilfe Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte. . |
Mit Asylmigration aus dem muslimisch-arabischen Raum, wie wir es seit 2015 in vielen Jahren gesehen haben, lösen wir unser demografisches Problem jedenfalls nicht. Das sollte heute, zehn Jahre später, allen gedämmert sein. Besser, wir suchen uns jene Menschen aus, mit denen wir gemeinsam Wohlstand und Frieden in unserem Land erhalten können. Und bewahren uns unsere Asylkapazitäten für Menschen wie Jihyun Park. . |
Herzlich, Ihre |
Jeannine Hierländer |
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Foto-Credit: Clemens Fabry
siehe auch: Der Mittelstandsbarometer 2024