Trump und die Geldgier

Wir bringen diesen „Economist Insider“-Kommentar von Stefan Riecher, US-Korrespondent von DIE PRESSE in USA/New York, weil er in vorbildlich ausgewogener Art den ersten Auftritten und Dekreten des neuen US-Präsidenten Donald Trump gerecht wird. Und damit auch den Erwartungen einer Mitte-orientierten Gesellschaft und des Mittelstands an Meinungsbildung in einem Qualitätsmedium.

Trump gerecht werden: „Trump und die Geldgier“

Am 24.1.25 schrieb Stefan Riecher (Stefan Riecher Foto-Credit: privat):
Guten Morgen aus New York!

jetzt ist er schon fast eine Woche im Amt, und die Welt dreht sich immer noch. Donald Trumps Anordnungen zu Beginn seiner zweiten Präsidentschaft seien „radikal” und „revolutionär”, war vielfach, vor allem in europäischen Zeitungen, zu lesen. Tatsächlich werden auch in Österreich illegale Immigranten laut Gesetz abgeschoben, und wer in Österreich geboren wird, hat noch kein automatisches Recht auf Staatsbürgerschaft. Es zählt, so wie in den meisten Ländern, die Herkunft der Eltern. Das will Trump nun auch für die USA, ganz schön radikal.

Okay, dass es in den USA nun offiziell zwei Geschlechter gibt und der Staatsapparat auf Einsparungen durchforstet wird, mag für Österreicher in der Tat radikal sein. Die Alpenrepublik kennt sechs Geschlechter, und Einsparungen — was ist das? Aber dann ist die Schweiz mit ihren zwei Geschlechtern und einer schlanken Bürokratie eben auch sehr revolutionär.

Man kann Trumps Stil und seine Pläne gut oder schlecht finden. Aber an „America First” ist grundsätzlich sehr wenig außergewöhnlich. Natürlich ist es die Pflicht des US-Präsidenten, zuerst auf seine Bevölkerung und erst dann auf den Rest der Welt zu schauen. Das mag für Europa nichts Gutes verheißen, aber Trump kann wenig dafür, dass die Europäische Union relativ deutlich weniger für die Verteidigung ausgibt als die USA und gleichzeitig davon ausgeht, dass die Supermacht fix auch die Schutzmacht bleibt. Und dass die EU im Schnitt um zwei Prozentpunkte höhere Importzölle auf US-Produkte einhebt als umgekehrt, wird in der europäischen Medienblase auch überraschend oft vergessen.

Immerhin scheinen die Börsianer von Trumps Präsidentschaft viel Gutes zu erwarten. Der S&P-500-Index kratzte in der ersten Woche seiner zweiten Amtszeit bereits wieder an einem Rekordhoch, und auch Bitcoin machte sich zu neuen Höhen auf. Apropos Krypto: Dass Trump am Wochenende vor seiner Angelobung eine eigene Krypto-Coin veröffentlicht hat, halte ich für eine Frechheit. Darüber sollte die Empörung größer sein als über viele seiner anderen Pläne. Das gehört verboten, die Linie zwischen Amt und Privatbusiness verschwimmt zu sehr.

Ich hoffe, dass Sie ohnehin nicht daran denken, aber fürs Protokoll: Wer $Trump oder $Melania kauft, ist kein Investor, sondern ein Scherzbold. Aus Prinzip würde ich nicht einmal einen Dollar dafür ausgeben. Wenn Sie das in der Hoffnung auf unrealistische Gewinne trotzdem tun, dann bitte als das betrachten, was es ist: ein Spaß, für den man mittelfristig mit einem Totalverlust bezahlen kann.

Bitcoin ist ein anderes Kaliber. Eine Erinnerung, dass auch die Mutter aller Kryptoassets – wenn überhaupt – bestenfalls eine Beimischung zu einem ausgewogenen Portfolio sein sollte, kann trotzdem nicht schaden. Die Geldgier ist ein Hund, und allzu oft springen unerfahrene Investoren auf einen schnell fahrenden Zug auf, in der Hoffnung, rasch reich zu werden. Wie André Kostolany sagte: „Ich kann Ihnen nicht sagen, wie man schnell reich wird; ich kann Ihnen aber sagen, wie man schnell arm wird: indem man versucht, schnell reich zu werden.“

In abgeschwächter Form gilt das auch für den breiten Aktienmarkt. Die Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Wall Street während Trumps zweiter Amtszeit kaum oder gar nicht zulegen wird. Schuld daran ist nicht Trump, sondern die Bewertungen. Zieht man das um die Inflation bereinigte Shiller-Kurs-Gewinn-Verhältnis heran, waren US-Aktien zu Beginn einer Präsidentschaft noch nie so teuer wie jetzt.

Die Rallye kann mit einem marktfreundlichen Präsidenten und einem anhaltenden Hype um die künstliche Intelligenz freilich auch noch weitergehen. Vernünftige Anleger nehmen die hohen Bewertungen jedenfalls zum Anlass, um zu diversifizieren. Europa ist ebenso wie die Schwellenländer günstiger als die USA. Zuletzt deutete vieles darauf hin, dass Trumps Importzölle gemäßigt ausfallen werden. Für Einfuhren aus China steht eine Abgabe von zehn Prozent im Raum. Das wäre überschaubar, und wenn sich die EU mit Trump einigt, etwa indem sie die Militärausgaben erhöht, steht Kursgewinnen außerhalb der USA möglicherweise wenig im Weg.

Gute Investoren lassen sich nicht von Emotionen treiben, sondern werfen einen neutralen Blick auf die Positionen des US-Präsidenten. Es wird wohl nicht so schlimm kommen. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und eine erfolgreiche nächste Woche.

Stefan Riecher

stefan.riecher@diepresse.com

Siehe auch Lusak-Kommentar „Trump hat gewonnen weil die Leute wieder mehr Mitte wollen“