Ende Juli schrieb Ing. Friedrich Riess, GF von RIESS-KELOmat (Mitglied von “WiP – KMU-Initiative Wirtschaftsantrieb am Punkt” sowie Unterzeichner und Partner von “Lobby der Mitte”) in seinem Namen an Vizekanzler Dr. Reinhold Mitterlehner und WK-Präsident Dr. Christoph Leitl einen Brief, in dem er darum ersuchte, mit der Befürwortung von TTIP nicht die “Zukunft unseres Landes zu verkaufen” und warnte vor Benachteiligung des Mittelstandes, Rechtsstaat-Aushöhlung, übermäßiger Privatisierung, Gesundheitsgefährdung und Freiheitseinschränkungen.
Hier die Antwort von Reinhold Mitterlehner vom 14. August 2015 an Friedrich Riess:
Sehr geehrter Herr Ing. Riess,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 20. Juli 2015 zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) wozu ich Ihnen, insb. hinsichtlich der von Ihnen erwähnten Kritikpunkte, folgendes mitteilen kann:
Österreichs Klein- und Mittelbetriebe (KMU) sind gemeinsam mit internationalen Leitbetrieben die Wachstums- und Jobmotoren im Land und würden von einem Freihandelsabkommen besonders profitieren. Durch den Wegfall unnötiger bürokratischer Hürden und Formalitäten, könnten KMU nicht nur einfacher sondern vor allem auch kostengünstiger in die USA exportieren und somit ihre Marktchancen in den USA deutlich erhöhen. Davon würde ganz Österreich profitieren: Denn exportorientierte KMU bieten sicherere und besser bezahlte Arbeitsplätze, sind innovativer und wettbewerbsfähiger.
Ihre Befürchtung, dass Gesetze bloß aufgrund ihrer potentiell gewinnmindernden Wirkung Anlass zu erfolgreichen Klagen vor Schiedsgerichten bieten können, ist unbegründet. Bereits in den Verhandlungsergebnissen für die EU-Abkommen mit Kanada und Singapur ist ausdrücklich festgehalten, dass staatliche Schadenersatzleistungen nur bei sehr eng umschriebenen Tatbeständen von (indirekter) Enteignung und manifest ungerechter Behandlung von Investoren in Betracht kommen. Bei TTIP soll das staatliche Regelungsrecht weiter gestärkt und ausgebaut werden. Außerdem fordert Österreich, dass schiedsgerichtliche Verfahren hohen Transparenzstandards genügen müssen, um die Öffentlichkeit bestmöglich einzubinden und zu informieren.
Die vielfach geäußerte Behauptung, dass der Investorenschutz letztlich nur Großkonzernen diene und österreichischen KMU kaum zugänglich sei, wird von den bisherigen Erfahrungen nicht bestätigt. Etwa kam die OECD 2012 in ihrer Untersuchung einer repräsentativen Auswahl von schiedsgerichtlichen Verfahren zu dem Schluss, dass zumindest ein gutes Fünftel der einschlägigen Klagen von sehr kleinen Unternehmen eingebracht wurde. Dies ist sicher auch zurückzuführen, dass bedeutende Teile der – in einer reinen Durchschnittbetrachtung sicher hohen – Verfahrenskosten streitwertabhängig sind. Was TTIP betrifft, könnten moderne Investitionsschutzbestimmungen gerade auch erfolgreichen mittelständischen Investoren ein wertvolles zusätzliches Instrument zur Absicherung und Durchsetzung ihrer Rechte in den USA bieten.
Der politische Handlungsspielraum in Bezug auf die Organisation der öffentlichen Daseinsvorsorge wird durch Freihandelsabkommen und somit auch durch TTIP nicht eingeschränkt. Dies gilt im Speziellen sowohl für die Wasserversorgung als auch für Gesundheit und Bildung. Jedes der bisher abgeschlossenen EU-Freihandelsabkommen bietet umfassende Möglichkeiten, sich von Verpflichtungen freizuspielen bzw. maßgeschneiderte Ausnahmen zu verankern und gerade in Bezug auf sensible Bereiche wie die Wasserversorgung wurde diese Option stets genutzt.
Ihre Sorge, dass TTIP den Weg frei für Fracking, genmanipulierte Lebensmittel und Hormonfleisch machen würde, teile ich nicht. Die TTIP-Verhandlungen bieten die Gelegenheit, unsere Standards auf globaler Ebene fest zu verankern und in Folge dessen als globalen Standard zu etablieren. Die Vertragspartner werden weiterhin das Schutzniveau insbesondere für Gesundheit, Sicherheit, Konsumenten-, Arbeits- und Umweltschutz nach eigenem Ermessen festlegen, die europäischen Standards bleiben somit gesichert und werden durch TTIP nicht abgesenkt.
Hinsichtlich des Schutzes der geistigen Eigentumsrechte (IPR) ist das Ziel der Europäischen Kommission, bei den TTIP Verhandlungen jedenfalls nicht über den in der EU vorgesehenen IPR-Rechtsschutz hinauszugehen. Da beide Verhandlungsparteien bereits über entwickelte Regeln hinsichtlich des IPR-Schutzes verfügen, sollen einzelne für beide Seiten interessante Bereiche identifiziert werden und hinsichtlich des Urheberrechtsschutzes sollen zudem Lücken im IPR-Schutz in den USA geschlossen werden. Dabei geht es darum, dass die EK bemüht ist, für Künstler aus der EU und ihre Werke, wie z.B. Phonogramme, in den USA denselben Schutz zu erreichen wie er in der EU besteht.
Die Bevölkerung profitiert von solchen Abkommen aber auch nur dann, wenn jene Problemfelder, die sich in der öffentlichen und kontroversen Diskussion ergeben haben, entsprechend positiv erledigt werden. Schlussendlich kann es nur darum gehen, die österreichischen Interessen im Rahmen dieser Verhandlungen einzubringen, das Ergebnis des geplanten Freihandelsabkommens qualitativ hochwertig zu entwickeln, inhaltlich kritisch zu prüfen und somit ein gut gemachtes Abkommen zu erzielen. Meine Vorgehensweise lautet auch in diesem Fall: Hinhören, verstehen und dann umsetzen – aber nicht von vornherein ablehnen. Erst wenn jeweils ein Endergebnis vorliegt, wird zu prüfen sein, ob dieses seitens Österreichs unterstützt und in weiterer Folge unterzeichnet sowie dem Europäischen Parlament und auch dem österreichischen Parlament vorgelegt wird.
Um sich über die laufenden TTIP-Verhandlungen umfassend zu informieren, darf ich Sie auf die eigens den TTIP-Verhandlungen gewidmeten Homepage der Europäischen Kommission aufmerksam machen, auf der zahlreiche Informationsmaterialien, Positionspapiere und EU-Verhandlungsvorschläge öffentlich zugänglich sind. Ebenso finden Sie auf der Homepage des BMWFW eine Vielzahl von Informationsmaterialien zu den Verhandlungen.
Mit freundlichen Grüßen
Reinhold Mitterlehner
Kommentar von “Lobby der Mitte”: Wir sind bemüht den PRO & CONTRA-TTIP-Dialog der Argumente transparent zu machen und dem Mittelstand die Gelegenheit zu geben, sich ein klares Bild zu machen. Bitte beachten Sie in dem Zusammenhang auch den TTIP-skeptischen, hier voran gegangenen, von WiP-Mitglied und KMU-Experten Günter Graßl geschriebenen Artikel mit der Überschrift “So kann der Mittelstand TTIP akzeptieren – und nur so!”: Klicken Sie einfach unten auf “Ältere Artikel”