WAS WIR VOM NEUEN FRANZÖSISCHEN PRÄSIDENTEN LERNEN KÖNNEN
Franck Runge über den jungen Wahlsieger Emmanuel Macron und seine für die meisten noch undurchschaubaren aber durchaus wissenschaftlichen Methoden der „Uberisierung“ der Parteien-Landschaft sowie einer neuen „partizipativen Demokratie“
Frankreich hat einen neuen Präsidenten, und mit Emmanuel Macron einen in vieler Hinsicht revolutionär neuen Präsidenten, der die rasanten Veränderungen unserer Zeit versteht und dessen Vision in ihrer Tragweite noch nicht erfasst wird.
Selbstfahrende Autos, Flüchtlingsströme, 3D-Drucker, Terrorismus, Schuldenkrisen, Jugendarbeitslosigkeit… tagtäglich hören, lesen oder erleben wir selbst, dass die Welt im Umbruch ist. Dem mag man entgegenhalten, dass Entwicklungen in der Menschheitsgeschichte schon immer schubweise erfolgt sind, es Veränderungen schon immer gegeben hat und der Mensch sich auch heute damit zurechtfinden wird. Man denke an die ersten Webstühle, die ersten Autos oder die ersten Computer, alles wurde zunächst angefeindet und hat schließlich breiten Massen das Leben angenehmer gemacht. Heute neu sind die Dynamik dieser Entwicklungen und auch die Tatsache, dass sie alle Bereiche der Technologie, der Wirtschaft, der Gesellschaft, ja sogar jeden einzelnen direkt beeinflussen. Das gab es noch nie.
Wir blockieren uns selbst
Die Menschen fühlen sich betroffen und ob der vielen unbekannten Aspekte stark verunsichert. Darüber hinaus spüren wir, dass die Politik nicht angemessen reagiert: Etwa, dass das Bildungswesen unverändert bleibt, obwohl wir wissen, dass in den nächsten Jahren die fortschreitende Robotisierung und die künstliche Intelligenz die Arbeitswelt massiv verändern werden. Oder dass Gesundheits- und Pensionsreformen dringend notwendig sind, da die Überalterung dramatisch zunimmt. Das Vertrauen in die Institutionen ist angeschlagen. Jahrzehntelang wurden wir verwöhnt mit Frieden, offenen Grenzen und scheinbar unendlichem Wirtschaftswachstum. Wir sind sehr bequem geworden. Aus Angst, den Wohlstand zu verlieren schränken wir mit Bestimmungen unsere Handlungsspielräume ein und versuchen Entwicklungen zu blockieren, auch dort wo sie nicht aufzuhalten sind.
Dies ergibt, gekoppelt mit geschürter Angstmacherei und der Verblendung, dass es für unsere komplexen Probleme einfache Lösungen gibt, offene Türen für Populisten, seien sie „links“ oder „rechts“, um diese überholten Schubladenbegriffe zu verwenden. Immer noch leben wir in einer Welt des Monopoly, bei der man nur gewinnen kann, indem man den anderen vernichtet. Die Geschichte hat uns gezeigt, dass tiefe Veränderungen in der Vergangenheit in der Gesellschaft durch Kriege, Revolutionen und Diktaturen realisiert wurden. Bei einem beim Blick in Länder wie der Türkei, Venezuela oder Syrien sehen wir, dass die Geschichte sich wiederholt. Heute wissen wir, dass es andere Lösungen gibt: Strukturelle Veränderungen können auch dank neuer Werkzeuge und Kommunikationsmittel durch Konsens erreicht werden.
Emmanuel Macron hat uns in den letzten 12 Monaten gezeigt, wie man diesen mutigen Weg einschlagen kann. Er hat 100.000 Menschen in Frankreich und im Ausland gefragt, was ihre Sorgen sind, was sie sich wünschen und welche Konflikte sie befürchten. Er hat die Antworten gesammelt, geordnet und Expertenteams befragt, was man konkret tun kann, um diese Sorgen zu reduzieren, um ihre Ziele zu erreichen und um Konflikte zu vermeiden. Die Summe dieser Maßnahmen hat seine Bewegung „En Marche“ gebildet. Das revolutionäre an dieser Bewegung ist die Trennung vom klassischen dogmatischen links-rechts Denken. Es ist die „Uberisierung“ der klassischen Parteilandschaft. Es ist partizipatorisch statt basisdemokratisch, Konsens statt Kompromiss. Bei einem Kompromiss verlieren alle Beteiligten einen Teil ihres Ziels. Beim Konsens gewinnen alle Beteiligten, da sie ein gemeinsames Ziel haben. Der Unterschied ist entscheidend, um die Bedeutung und die Tragweite von „En Marche“ zu erfassen.
Der sensationelle Erfolg der PAT-Miroir-Methode
Die Vorgehensweise von Emmanuel Macron erinnert mich an die von Physikern und Kommunikationswissenschaftlern an der ETH Zürich und der UTC von Compiègne entwickelte PAT-Miroir Methode: Die partizipative PAT-Miroir Methode zeigt uns, dass man einen Konsens nur mit Vertrauensaufbau erzielen kann. In systemischer Weise werden Ängste abgebaut, Versuchungen Einhalt geboten und Anreize geschaffen. Mit einer Auseinandersetzung über die uns heute wichtigen Werte und Ziele kann ein Konsens erzielt werden. Wir können an einem gemeinsamen Strang ziehen und konkrete Lösungen gemeinsam erarbeiten. Mit Konsens können umfassende Reformen durchgeführt werden. Emmanuel Macron baut sein Programm auf diesem Prinzip des Vertrauensaufbaues auf. Freilich gilt es nun, seine so notwendigen wie ambitionierten Ziele in einem etablierten System umzusetzen, dies bedarf viel Mut, Kraft und Vision in die Zukunft. Es ist überraschend, dass über seine Vorgehensweise bisher wenig berichtet wurde, denn gerade diese ist innovativ, mutig und ambitioniert. In Zeiten der rasanten Entwicklungen benötigen wir Vertrauen, Konsens und Visionen, damit wir unsere Zukunft mit Optimismus und Eigenverantwortung gestalten können. Und auch jene unserer Kinder, damit sie in einer offenen Gesellschaft auf einem schönen Planeten Erde leben können. Ich sehe es als unsere Aufgabe, uns mit Mut den zahlreichen Herausforderungen zu stellen und dafür auch neue, bisher unbeschrittene Wege einschlagen.
Der nächste Schritt ist freilich die Umsetzung des Programms, den wir mit Spannung beobachten werden. Wenn Emmanuel Macron mit derselben atemberaubende Umsetzungsstärke wie in den letzten 12 Monaten weiter macht, wird er in die Geschichte eingehen und seine Vorgehensweise international Nachahmer finden.
Franck Runge ist geschäftsführender Gesellschafter von Servithink Unternehmensberatung und Präsident von ValEUR- Gesellschaft Werte für Europa. http://www.servithink.at/ http://www.valeur.at/ (Foto Sandra Trauner)